EU-Vertreter versuchen nach türkischer Grenzöffnung Flüchtlingskrise abzuwenden
Nach der türkischen Grenzöffnung für Flüchtlinge sind am Dienstag hochrangige EU-Vertreter in die Türkei und nach Griechenland gereist, um die Lage zu entschärfen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und Krisenkommissar Janez Lenarcic brachen nach Angaben der EU-Kommission zu zweitägigen Gesprächen nach Ankara auf. Zugleich wurde scharfe Kritik am türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan laut. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz warf ihm "Erpressung" der EU vor. Auch Menschenrechtsgruppen beschuldigten ihn, die Flüchtlinge als "Faustpfand" einzusetzen.
Infolge der Eskalation des militärischen Konflikts in Nordsyrien hatte die Türkei am Wochenende erklärt, Flüchtlinge auf dem Weg in die EU nicht länger aufzuhalten. Zehntausende Migranten machten sich daraufhin ungehindert auf den Weg an die Grenze zu Griechenland. Griechische Sicherheitskräfte hinderten seitdem tausende Flüchtlinge auch unter Einsatz von Tränengas daran, über die Grenze zu kommen.
Zwischen Samstag und Montag verzeichneten die griechischen Behörden nach eigenen Angaben mehr als 24.200 versuchte illegale Grenzübertritte. 182 Menschen wurden demnach festgenommen. Die griechische Regierung sprach von einer "Invasion" und forderte die "starke Unterstützung" Brüssels ein.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel und EU-Parlamentspräsident David Sassoli reisten am Dienstag an die griechisch-türkische Grenze, wo sie sich mit Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis ein Bild der Lage machen wollten.
Zahlreiche Flüchtlinge und Migranten suchten am Dienstag den Grenzfluss Evros nach einer sicheren Stelle zum Überqueren ab. Syrische Flüchtlinge aus Istanbul berichteten der Nachrichtenagentur AFP, sie seien von der türkischen Armee in Richtung der griechischen Grenze gedrängt worden. "Sie haben uns am Fluss rausgelassen und nur gesagt: ’Los!’", erzählte der 23-jährige Taisir.
Erdogan hatte am Montag gedroht, "Millionen" Flüchtlinge könnten sich demnächst auf den Weg in die EU machen. Beobachter werten die Drohung als Versuch, die EU dazu zu bewegen, die türkische Militäroffensive in Syrien zu unterstützen und der wirtschaftlich angeschlagenen Türkei auch finanziell unter die Arme zu greifen.
Europäische Staats- und Regierungschefs riefen Erdogan dazu auf, sich an das Flüchtlingsabkommen von 2016 zu halten, mit dem Migranten an der Weiterreise in die EU gehindert werden sollten.
Das Verhalten Erdogans sei ein "Angriff auf die EU und Griechenland", sagte Österreichs Kanzler Kurz am Dienstag in Wien. Erdogan habe die Migranten bewusst an die Grenze geschickt, um die EU zu erpressen.
Auch Menschenrechtsgruppen, die sich am Dienstag in Istanbul trafen, erklärten: "Die Migranten sollten nicht als Verhandlungsmasse benutzt werden, und die Regierung sollte aufhören, sie an unsichere Grenzübergänge zu lenken." Doch sie übten auch Kritik an der EU, da sie durch die Schließung der Grenzen "das Leben von hunderttausenden Migranten gefährdet".
Knapp eine Million Menschen sind seit Dezember aus den umkämpften Gebieten im Nordwesten Syriens geflohen. Die Gefechte zwischen den Truppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad und überwiegend islamistischen Milizen in der Provinz Idlib, die teils von der Türkei unterstützt werden, hatten sich zuletzt verschärft. Bei einem Luftangriff, der mutmaßlich von syrischen Regierungstruppen ausging, wurden 34 türkische Soldaten getötet. Die Türkei startete daraufhin eine Militäroffensive.
Ein türkischer Kampfjet schoss nach Aktivistenangaben am Dienstag erneut ein Kampfflugzeug der syrischen Streitkräfte im Süden von Idlib ab. Der Pilot wurde dabei getötet. Es handelte sich um den dritten Flugzeugabschuss binnen drei Tagen. Bei einem Raketenangriff syrischer Streitkräfte auf ein Wohnviertel der Stadt Idlib starben den Angaben zufolge am Dienstag neun Zivilisten, darunter fünf Kinder.
(U.Beriyev--DTZ)