Deutsche Tageszeitung - Türken verpassen Erdogan bei Kommunalwahl einen Denkzettel

Türken verpassen Erdogan bei Kommunalwahl einen Denkzettel


Türken verpassen Erdogan bei Kommunalwahl einen Denkzettel
Türken verpassen Erdogan bei Kommunalwahl einen Denkzettel / Foto: ©

Die Türken haben der Partei von Präsident Recep Tayyip Erdogan bei den Kommunalwahlen am Sonntag einen Denkzettel verpasst. Nach Auszählung fast aller Stimmen stand die AKP in der Hauptstadt Ankara vor einer Niederlage, während in der Millionenmetropole Istanbul der Sieg der Regierungspartei auf Messers Schneide stand. Sowohl der AKP-Kandidat als auch die Opposition beanspruchten dort am späten Abend den Sieg für sich.

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Bei den landesweiten Kommunalwahlen waren alle Augen auf die Millionenmetropolen Istanbul und Ankara gerichtet, die seit Jahren von der AKP regiert werden. Am späten Abend lag AKP-Kandidat Binali Yildirim in Istanbul mit 48,7 Prozent praktisch gleichauf mit dem CHP-Kandidaten Ekrem Imamoglu, doch beanspruchte er den Sieg für sich. "Wir haben gewonnen", sagte der frühere Ministerpräsident vor jubelnden Anhängern.

Nach Auszählung von 98 Prozent der Wahlzettel trennten sie zu diesem Zeitpunkt nur knapp 5000 Stimmen. Zeitgleich mit Yildirim hielt Imamoglu eine Pressekonferenz in Istanbul ab, bei der er dem AKP-Kandidaten "Manipulation" vorwarf, da noch nicht alle Stimmen ausgezählt seien. Spät in der Nacht beanspruchte er in einer Rede den Sieg in Istanbul. Die Ergebnisse zeigten, dass seine Partei uneinholbar vorne liege.

"Gemäß unseren Daten hat Ekrem Imamoglu gewonnen", sagte auch der CHP-Vorsitzende Kemal Kilicdaroglu bei einer Pressekonferenz. Für Kritik sorgte, dass die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu seit Mitternacht die Ergebnisse auf ihrer Wahlwebsite nicht mehr aktualisierte. Schon bei Abstimmungen in den vergangenen Jahren hatte es immer wieder Manipulationsvorwürfe gegeben.

Während das Rennen in der Bosporus-Metropole in der Nacht nicht entschieden war, stand die AKP in der Hauptstadt vor dem Verlust des Rathauses. Nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmzettel lag der CHP-Kandidat Mansur Yavas mit 50,9 Prozent klar in Führung. Amtsinhaber Mehmet Özhaseki von der AKP erreichte nur 47 Prozent. Vor der CHP-Zentral in Ankara feierten in der Nacht hunderte Anhänger.

Bei einer Rede vom Balkon des AKP-Hauptquartiers vermied es Erdogan, die Niederlage seiner Partei in Ankara einzugestehen oder sich klar zum Wahlergebnis in Istanbul zu äußern. Stattdessen betonte der AKP-Vorsitzende, dass seine Partei im Bündnis mit der ultrarechten MHP landesweit 56 Prozent der Rathäuser erobert habe. Auch in Istanbul habe sie die Mehrheit der Bezirke gewonnen, sagte Erdogan.

In der drittgrößten türkischen Stadt Izmir stand die CHP dagegen vor einem klaren Sieg. Wie bei früheren Wahlen gingen praktisch alle Küstenprovinzen im Westen an die linksnationalistische Partei, während Zentralanatolien mehrheitlich an die AKP fiel. Die prokurdische HDP stand ihrerseits vor einem Sieg in mehrheitlich kurdischen Provinzen wie Diyarbakir, Mardin und Hakkari im Südosten sowie Van und Kars im Osten.

Der Wahlkampf war von Beobachtern als einer der schmutzigsten der vergangenen Jahre beschrieben worden. Erdogan hatte die Wahl zur Frage des "nationalen Überlebens" angesichts der Bedrohung durch innere und äußere Feinde erklärt. Obwohl Erdogan selbst nicht zur Wahl stand, hielt er binnen zwei Monaten mehr als hundert Kundgebungen und machte so den Urnengang auch zu einer Abstimmung über seine eigene Politik.

Dabei war die Wirtschaftslage nicht günstig für die AKP: Erstmals seit zehn Jahren ist die Türkei in die Rezession gerutscht, die Inflation liegt bei 20 Prozent und kurz vor der Wahl sorgten starke Schwankungen der Währung für zusätzliche Nervosität in Ankara. "Die Wirtschaft läuft schrecklich, sie ist erledigt", sagt der Wähler Hüsnü Acar bei der Stimmabgabe in Istanbul. Nicht die Türkei, sondern die AKP habe "ein Überlebensproblem".

(A.Nikiforov--DTZ)

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