EU-Kommission bereitet sich auf längere Wachstumsflaute vor
Die EU-Kommission bereitet sich auf eine längere Wachstumsflaute vor. "Die EU-Wirtschaft steht vor einer Zeit hoher Unsicherheit", sagte EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici am Donnerstag in Brüssel. Der Herbstprognose der Behörde zufolge ist im nächsten Jahr von einer Zunahme der Wirtschaftsleistung in der Eurozone von nur noch 1,2 Prozent auszugehen. Im Sommer hatte die Kommission 1,4 Prozent prognostiziert, in früheren Vorhersagen noch höhere Wachstumsraten.
Moscovici hob hervor, dass die Wirtschaft voraussichtlich das siebte Jahr in Folge wachsen werde. Auch die Situation am Arbeitsmarkt sei positiv zu bewerten. Problematisch ist nach Einschätzung der EU-Kommission hingegen die Lage am Weltmarkt: Handelskonflikte, die Unsicherheit etwa der chinesischen Volkswirtschaft und geopolitische Spannungen würden die Aussichten für Europa trüben.
Darunter sowie unter der anhaltenden Schwäche des verarbeitenden Gewerbes leidet demnach besonders die exportstarke deutsche Wirtschaft. Zwar kann sich Deutschland der Kommission zufolge auf eine robuste Binnennachfrage und steigende Löhne verlassen, dennoch senkte die Behörde die Wachstumserwartungen für 2020 deutlich von zuletzt 1,4 Prozent auf 1,0 Prozent.
Im Vergleich zu 2019 entspricht dies immer noch einem deutlichen Wachstum: Für dieses Jahr geht die Kommission von einem Anstieg des deutschen Bruttoinlandsproduktes um nur 0,4 Prozent aus. "Dieser Anstieg ist jedoch teilweise auf eine höhere Zahl an Arbeitstagen im kommenden Jahr zurückzuführen", schränkte Moscovici ein.
Der Franzose riet der Bundesregierung zu mehr öffentlichen Investitionen, etwa in Infrastruktur. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), der sich am Donnerstag wegen eines Ministertreffens in Brüssel aufhielt, sagte, dass dies bereits geschehen sei: "Wir haben ein Allzeithoch, was Investitionen aus dem Bundeshaushalt betrifft." Für die nächsten zehn Jahre seien 400 Milliarden Euro an Investitionen vorgesehen plus weitere 150 Milliarden Euro im Rahmen von Klimamaßnahmen.
Während es um die verarbeitende und die exportorientierte Industrie in der Eurozone nicht gut stehe, "wachsen die stärker auf die Binnennachfrage ausgerichteten Sektoren, wie das Baugewerbe und insbesondere der Dienstleistungssektor, weiter", sagte Moscovici. Ein großes Risiko bleibe jedoch ein ungeordneter Brexit, wenngleich dieser Großbritannien stärker treffen würde als die verbleibenden 27 EU-Länder.
Für Italien geht Brüssel von sehr schlechten Wachstumsaussichten aus. Für 2020 sei von 0,4 Prozent statt zuvor prognostizierten 0,7 Prozent Wachstum auszugehen. Die Staatsverschuldung werde mit 136,8 Prozent der Wirtschaftsleistung ein neues Rekordniveau erreichen und 2021 weiter auf 137,4 Prozent steigen.
Der für den Euro zuständige Kommissionsvize Valdis Dombrovskis rief alle hoch verschuldeten EU-Länder "dringend" auf, "die vorsichtige Finanzpolitik fortzusetzen und die Schuldenstände kontinuierlich abzubauen". Neben Italien bewegt sich demnach zudem Belgien in die falsche Richtung: 2021 wird die Staatsverschuldung voraussichtlich die 100-Prozent-Marke erreichen.
In zwei langjährigen Krisenstaaten ist laut Moscovici hingegen eine Trendwende zu beobachten: "In Portugal, das im nächsten Jahr voraussichtlich einen ausgeglichenen Haushalt haben wird, und in Griechenland, das für 2020 mit einem hohen Überschuss plant".
(N.Loginovsky--DTZ)