Deutschland strebt nach Lautenschlägers Rückzug erneut Posten im EZB-Direktorium an
Nach dem Ausscheiden der Notenbankerin Sabine Lautenschläger aus dem Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) strebt die Bundesregierung erneut eine Besetzung des Postens mit einem deutschen Kandidaten oder einer Kandidatin an. "Deutschland erhebt als größte Volkswirtschaft der Eurozone und als größter Mitgliedstaat der EU auch den Anspruch, weiterhin ein Mitglied im EZB-Direktorium zu stellen", sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums am Freitag in Berlin.
Die Bundesregierung werde "in Kürze" eine geeignete Kandidatin beziehungsweise einen Kandidaten für die Nachfolge benennen, fuhr der Sprecher fort. Demnach ist das Ressort von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) federführend bei der Benennung. Ernannt wird das neue Direktoriumsmitglied dann nach einer Anhörung vor dem EU-Parlament durch den Europäischen Rat.
Lautenschläger hatte der EZB kürzlich mitgeteilt, dass sie vorzeitig zum 31. Oktober aus dem Direktorium ausscheidet. Zu dem Gremium zählen neben EZB-Präsident Mario Draghi fünf weitere Mitglieder. Gemeinsam mit den 19 nationalen Notenbankchefs der Eurostaaten bilden sie den EZB-Rat, das wichtigste Beschlussorgan der Zentralbank, das den geldpolitischen Kurs im Euroraum absteckt.
Auslöser für Lautenschlägers Rückzug waren offenbar Meinungsverschiedenheiten über die ultralockere Geldpolitik der EZB - vor allem die jüngste Zinsentscheidung der Zentralbank und die Wiederaufnahme milliardenschwerer Anleihekäufe. Aus Notenbankkreisen verlautete, dass Lautenschläger schon seit einiger Zeit über einen Rückzug nachdachte.
Der CSU-Finanzexperte Hans Michelbach sagte den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom Samstag, er bedauere, dass mit Lautenschläger eine "dezidierte Vertreterin einer stabilitätsorientierten Geldpolitik das EZB-Direktorium vorzeitig verlässt" und sprach von einem "Alarmsignal". Angesichts möglicher interner Differenzen über die Geldpolitik der EZB sei eine genaue Untersuchung der internen Verhältnisse "dringend erforderlich".
Michelbach sprach sich außerdem für eine Kurskorrektur der EZB aus. Unter Präsident Draghi sei die Zentralbank von ihrem Kurs als Hüterin der Stabilität abgekommen, sagte er. "Leidtragende dieses verfehlten Kurses sind all jene, die privat vorsorgen."
Abgelöst wird Draghi im November von Christine Lagarde. Die frühere Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) deutete aber bereits an, dass mit ihr kein radikaler Kurswechsel zu erwarten ist.
(L.Møller--DTZ)