Studie: Jede fünfte Region in Deutschland droht abgehängt zu werden
Jede fünfte Region in Deutschland droht ohne eine "kluge Regionalpolitik" abgehängt zu werden. Das ist das warnende Ergebnis einer am Donnerstag vorgelegten Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Demnach gibt es in 19 von insgesamt 96 Regionen "akuten Handlungsbedarf", damit diese nicht den Anschluss verlieren. Die wirtschaftlichen Schlusslichter liegen in Westdeutschland - der Osten hat hingegen eher ein Demografie-Problem.
Viele deutsche Städte boomen - doch auf der anderen Seite drohen "gefährliche Abwärtsspiralen" und gesellschaftliche Spannungen, warnten IW-Direktor Michael Hüther und einer der Mitautoren der Studie, Jens Südekum. Das IW untersuchte in den Bereichen Wirtschaft, Demografie und Infrastruktur insgesamt zwölf Indikatoren, darunter etwa die Arbeitslosenquote und Verschuldung privater Haushalte, das Durchschnittsalter und die Lebenserwartung sowie die Breitbandausstattung und die Immobilienpreise.
Mit Blick auf die Wirtschaft liegen die Schlusslichter in Westdeutschland: Besonders düster sieht es in Duisburg/Essen, Emscher-Lippe und Bremerhaven aus.
In Ostdeutschland sehen die Studienautoren vor allem bei der Demografie "eindeutigen Handlungsbedarf". So ist in den Regionen Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg, Lausitz-Spreewald, Oberlausitz-Niederschlesien sowie Ost- und Südthüringen das Durchschnittsalter der Bevölkerung hoch und stieg in den vergangenen Jahren auch noch überproportional an.
Infrastruktur-Probleme gibt es der Studie zufolge hingegen deutschlandweit: Die drei westdeutschen Regionen Emscher-Lippe, Trier und Westpfalz plagen demnach besonders hohe Verschuldungsquoten, sie haben dementsprechend nur einen eingeschränkten Gestaltungsspielraum. In den ostdeutschen Regionen Altmark, Magdeburg und Halle/Saale ist die digitale Infrastruktur noch wenig entwickelt.
Werden alle drei Bereiche zusammengefasst, ist der Handlungsbedarf nach Einschätzung der Autoren in der Altmark, in Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg und in den Ruhrgebietsregionen Emscher-Lippe und Duisburg/Essen besonders groß - also in großen Teilen des Ruhrgebiets und in einigen ländlichen Regionen im Osten.
Zu den insgesamt 19 Regionen mit schwierigen strukturellen Voraussetzungen und politischem Handlungsbedarf gehören sowohl ländliche dünn besiedelte Regionen als auch dicht besiedelte urbane Regionen, wie die Autoren betonen. Eine bei allen untersuchten Indikatoren gefährdete Region gibt es aber nicht. Zu den 19 Regionen gehören elf im Osten, vier in Nordrhein-Westfalen entlang der Ruhr sowie Bremerhaven, das Saarland, Schleswig-Holstein Ost und die Westpfalz.
"Die betroffenen Länder sollten Schuldenerlasse für die Kommunen in Betracht ziehen, damit diese wieder handlungsfähig werden", riet Hüther. "Eine kluge Regionalpolitik sollte den Kommunen die Möglichkeit geben, sich selbst zu helfen", fügte Südekum hinzu. Jedoch seien auch Bund und Länder in der Verantwortung.
Weitere Stellschrauben sehen die Wissenschaftler darin, bürgerschaftliches Engagement besser zu fördern, Bildungsangebote zu verbessern und das Netz auszubauen - sowohl bei der Schiene als auch beim Breitbandinternet. Die Regionalpolitik müsse jetzt dringend gegensteuern, warnten die Forscher.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) forderte die Politik auf, die "Attraktivität der Regionen in Deutschland" stärker in den Blick zu nehmen. Diese gehöre für viele Betriebe zu den wichtigsten Standortfaktoren und sei vor allem für die Fachkräftesicherung entscheidend. Deutschland könne sich zudem keine Gewerbegebiete ohne leistungsfähigen Glasfaseranschluss leisten, warnte der DIHK.
Der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, forderte eine Entschuldung von Kommunen in den Problemregionen. "Gleiche Chancen in allen Teilen Deutschlands sind wesentlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt", erklärte er. Dass inzwischen die Schlusslichter der Regionen im Westen lägen, sei ein "Signal an die Bundespolitik, die regionale Förderung zu überdenken".
(N.Loginovsky--DTZ)