Ende der Niedrigzinsen rückt in weitere Ferne
Das Ende der Niedrigzinsen in der Eurozone ist in weitere Ferne gerückt: "Wir gehen nun davon aus, dass die Leitzinsen mindestens bis zur ersten Jahreshälfte 2020 auf ihrem derzeitigen Niveau bleiben", sagte am Donnerstag der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi. Bislang wollte der EZB-Rat den Leitzins bis Ende dieses Jahres auf 0,0 Prozent halten.
Draghi begründete den Schritt damit, dass sich die Risiken für das europäische Wirtschaftswachstum erhöht hätten. Dazu zählten geopolitische Faktoren, Protektionismus und Verwundbarkeiten in Schwellenländern. Die Welt sei derzeit "weit von der Normalität entfernt", sagte der Italiener.
Seit der letzten Verlängerung der Niedrigzinsen im März hat sich der Handelskonflikt zwischen den USA und China nochmal erheblich verschärft. Washington und Peking überziehen sich wechselseitig mit Strafzöllen. Außerdem ist nach wie vor unklar, wann Großbritannien die Europäische Union verlassen wird. Dazu kommt die anhaltende Sorge um Draghis Heimatland Italien. Die EU-Kommission empfahl jüngst wegen der hohen italienischen Staatsverschuldung die Einleitung eines Defizitverfahrens. In Griechenland schüren wiederum die kommenden Wahlen Unsicherheit.
Draghi bindet die EZB nun weit über seine Ende Oktober auslaufende Amtszeit an die Niedrigzinsen. Die EZB hatte den zentralen Zinssatz im März 2016 auf 0,0 Prozent gesenkt, um mit günstigem Kapital Konjunktur und Inflation anzukurbeln.
Neben dem Leitzins bleiben auch die beiden anderen wichtigen Zinssätze unverändert, wie der EZB-Rat in seiner Sitzung im litauischen Vilnius am Donnerstag beschloss. Lagern Banken ihr Geld kurzfristig bei der EZB ein, statt es an Unternehmen zu verleihen, zahlen sie weiterhin einen Strafzins von 0,4 Prozent. Bei kurzfristigen Kapitalspritzen und sogenannten Übernachtkrediten werden wie bisher 0,25 Prozent Zinsen fällig.
Die EZB legt ab September zudem ein neues Kreditprogramm auf, um die Wirtschaft zu stützen. Dazu gab Draghi am Donnerstag neue technische Details bekannt. Die Zentralbank stellt den Banken demnach Geld zu günstigeren Konditionen als sonst üblich zur Verfügung, wenn sie das Geld als Kredite an Unternehmen weitergeben. Dadurch sollen Unternehmen mehr investieren und somit die Wirtschaft ankurbeln.
Wie der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, erklärte, lasse die EZB sich dennoch "alle Optionen offen, um flexibel auf die vielen Risiken reagieren zu können". Dazu gehören Analysten zufolge sowohl eine Absenkung des Leitzinses in den negativen Bereich als auch eine Wiederauflage der milliardenschweren Anleihekäufe. Die größte Gefahr für die EZB sind aber die laut Fratzscher nur "schwach verankerten" Inflationserwartungen.
Die Inflation soll dieses Jahr nach neuen Daten bei 1,3 Prozent liegen und damit um 0,1 Punkte höher als noch bei der letzten Prognose im März. Für 2020 rechnen die EZB-Forscher mit 1,4 Prozent Teuerung. Damit geht die Zentralbank davon aus, dass die Geldentwertung auf absehbare Zeit deutlich unter dem angepeilten Ziel von knapp unter zwei Prozent bleiben wird.
(P.Vasilyevsky--DTZ)