Debatte über Enteignung auf dem Wohnungsmarkt erhitzt die Gemüter
Vor dem Start der Unterschriftensammlung für ein Volksbegehren in Berlin erhitzt die Debatte über Enteignungen auf dem Wohnungsmarkt die Gemüter. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer kritisierte, dass der Berliner Senat anscheinend bereit sei, den Schutz des Eigentums in Frage zu stellen und schlug eine Grundgesetzänderung vor. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte ebenfalls, das Mittel der Enteignung "lehnen wir ab". Die Linke hingegen verteidigte die Pläne.
"Eine Streichung des Artikel 15 GG würde die Achtung des Gesetzgebers vor dem Eigentum dokumentieren", sagte Theurer dem "Handelsblatt" vom Freitag. Der Staat könne damit zeigen, dass sich wirtschaftspolitische Ziele mit der Vergesellschaftung unter anderem von Produktionsmitteln und Vermögen nicht erreichen ließen. Artikel 15 sieht vor, dass "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel" zum Zwecke der Vergesellschaftung und gegen Entschädigung in Gemeineigentum überführt werden können.
Darauf sowie auf Artikel 14, der besagt, dass "Eigentum verpflichtet" und eine Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist, beruft sich eine Initiative in Berlin. Sie will große Wohnungsbau- und Immobilienkonzerne wie die Deutsche Wohnen enteignen und beginnt am Samstag mit der Unterschriftensammlung für das entsprechende Volksbegehren. Die Deutsche Wohnen besitzt in Berlin rund 110.000 Wohnungen.
Theurer sagte dazu, er wolle den "Sozialismus aus dem Grundgesetz streichen". Auch Kramp-Karrenbauer stellte sich in einem Schreiben an den Zentralen Immobilien Ausschuss gegen Enteignungen. "Wir wollen die schwierige Wohnungssituation in unserem Land im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft und mit den Mitteln des Marktes beheben", schrieb sie an den Verband. "Das Mittel der Enteignung lehnen wir ab." Das habe auch die Berliner CDU deutlich gemacht.
Auch der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen warnte, eine Enteignung wäre "der völlig falsche Weg", um die Probleme zu lösen und zudem "verfassungsrechtlich und finanziell" nicht machbar. In einem angespannten Markt helfe nur mehr Angebot - also Neubau.
Die Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB) warnten vor einem "klassischen Eigentor". Investoren, denen die Politik mit Enteignungen drohe, seien "schon jetzt in großer Sorge". Sie würden in Zukunft einen großen Bogen um Berlin machen und lieber woanders bauen. Die Folge wären noch höhere Mieten.
Die Linke kritisierte vor allem die FDP-Forderung nach einer Grundgesetzänderung scharf. Es sei "skrupellos", das Grundgesetz dem "Primat der Wirtschaft zu unterwerfen", kritisierte Linken-Politiker Jan Korte. Die Interessen der Bevölkerung müssten über die von Unternehmen gestellt werden.
Linken-Chef Bernd Riexinger verteidigte die geforderte Enteignung als legitim und beklagte den massiven Rückgang des Bestandes an Sozialwohnungen. "Darin liegt das ganze Drama der Entwicklung", sagte er im Deutschlandfunk. Es gehe auch nicht um "entschädigungsloses Enteignen", sondern darum, "Immobilienspekulanten an die Kandare" zu legen.
(Y.Ignatiev--DTZ)