Schwache Konjunktur: EZB senkt Leitzinsen trotz Inflationsanstieg
Angesichts eingetrübter Konjunkturaussichten und abnehmender Sorge wegen der Inflation hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihre drei Leitzinssätze erneut um 0,25 Prozent gesenkt. Der zentrale Leitzins, der Einlagezins, zu dem Geschäftsbanken Geld bei der EZB anlegen, liegt so zukünftig bei 3,0 Prozent, wie die Bank am Donnerstag in Frankfurt am Main mitteilte. Die Währungshüter gehen davon aus, dass sich die Inflation mittelfristig beim Ziel von zwei Prozent stabilisieren wird - Sorge bereitet ihnen aber zunehmend die schwache Konjunktur.
Die EZB sieht sich den Angaben nach auf einem guten Weg zum eigenen Inflationsziel. Die Teuerungsrate im Euroraum hatte im November zwar wieder angezogen und lag mit 2,3 Prozent über der Zielmarke, gleichzeitig entwickelte sich aber auch die Wirtschaft schwächer als erwartet. Hatte die Wirtschaft im Euroraum über den Sommer noch an Fahrt aufgenommen, deuteten jüngste Informationen darauf hin, dass das Wachstum "an Schwung verliert", wie EZB-Chefin Christine Lagarde sagte.
Demnach setzt sich die Schwächephase der Industrie weiter fort und das Wachstum im Dienstleistungssektor verlangsame sich. Das solide Wachstum zur Mitte des Jahres sei vor allem auf privaten Konsum, "einmalige Faktoren", und den Aufbau von Lagerbeständen zurückzuführen, sagte Lagarde.
Sinkende Leitzinsen verbessern die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und Privathaushalte und können die Wirtschaft ankurbeln. Die Kreditaufnahme habe sich "aufgrund der vorangegangenen Zinssenkungen des EZB-Rats allmählich verbilligt", erklärten die Notenbanker. Insgesamt blieben die Bedingungen aber weiterhin "restriktiv".
Noch seien die Leitzinsen auf einem Niveau, das die "Wirtschaft dämpft", erklärte Silke Tober vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Für sie geht die Senkung um 25 Basispunkte daher nicht weit genug. Sie sei zwar ein "weiterer Schritt in die richtige Richtung, allerdings handelt die Zentralbank erneut zu zaghaft". Kommendes Jahr müssten daher "zügig" weitere Senkungen folgen, erklärte die Expertin für Geldpolitik.
Das Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung (SAFE) attestierte der Zentralbank "vorausschauendes Handeln". "Die heutige Entscheidung zeigt, dass die EZB diese kleine Zinssenkung nutzt, um den vielen vorherrschenden Unsicherheiten, insbesondere von geopolitischer Natur, zu begegnen und die Finanzmarktstabilität zu sichern", erklärte der wissenschaftliche Direktor des SAFE, Florian Heider. Von den Märkten sei die Senkung bereits eingepreist worden, was die Entscheidung der EZB rechtfertige.
ING-Analyst Carsten Brzeski sah die Tür für weitere Senkungen "weit offen". Die Entscheidung vom Donnerstag sei ein "Kompromiss" zwischen Wachstum und Sorgen vor der Inflation. Der Verweis auf die weiterhin restriktive Geldpolitik der EZB zeige jedoch, das weitere Zinsschritte zu erwarten sind.
Die Entwicklung der Inflation bleibe auch im kommenden Jahr unsicher, erklärt hingegen der Bundesverband deutscher Banken (BdB). Die EZB solle deshalb auch 2025 "vorsichtig agieren". Zwar deuteten die schwächelnde Konjunktur und gesunkene Energiepreise auf einen weiteren Rückgang der Inflation hin. Weiterhin überdurchschnittlich steigende Löhne und ein schwächerer Euro könnten die Inflation aber über dem EZB-Ziel halten.
Christine Lagarde verwies auf "Unsicherheiten", die durch "politische Situationen in den Mitgliedsstaaten selbst" entstehen, nannte aber auch mögliche Auswirkungen durch den neu gewählten, künftigen US-Präsidenten Donald Trump. Der Republikaner hatte angekündigt, die Zollabgaben für ausländische Produkte zu erhöhen. Lagarde nannte solche protektionistischen Maßnahmen "nicht förderlich" für das Wachstum.
Es ist die vierte Zinssenkung der Euro-Notenbanker in diesem Jahr und die dritte in Folge. Der Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich Geschäftsbanken Geld bei der EZB leihen können, liegt nun bei 3,15 Prozent, der Zins zur kurzfristigen Beschaffung von Geld, der Spitzenrefinanzierungssatz, bei 3,40 Prozent.
(N.Loginovsky--DTZ)