PIK-Studie: Kipppunkt bei Eisschmelze in der Westantarktis noch nicht erreicht
Bei den riesigen Eismassen der Westantarktis ist der Kipppunkt eines sich selbst verstärkenden, unumkehrbaren Rückgangs des Eisschildes laut einer Untersuchung europäischer Forscher noch nicht erreicht. In zwei zusammengehörenden Studien seien bislang "keine Anzeichen" für einen unaufhaltsamen Eisverlust in der Westantarktis gefunden worden, teilte das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) am Donnerstag mit. Dies sei "beruhigend", erklärte Ronja Reese.
Entwarnung gab die an der Northumbria University in Newcastle forschende Klima-Expertin jedoch nicht. Die zwei Studien zeigten auch, "dass ein unumkehrbarer Rückzug des Eisschildes in der Westantarktis bereits unter aktuellen Klimabedingungen möglich ist", führte Reese aus.
Im komplexen Klimasystem der Erde gibt es eine ganze Reihe sogenannter Kipppunkte. Es handelt sich um den Übergang zwischen zwei stabilen Zuständen, an dem keine Umkehrung mehr möglich ist. Würden die Eismassen in der Antarktis unaufhaltsam abschmelzen, würde der Meeresspiegel um etliche Meter steigen.
In den vergangenen Jahren verlor die Antarktis bereits mehr und mehr Eis. Dem liegt die Erwärmung der Meere im Zuge des Klimawandels zugrunde. Das relativ warme Ozeanwasser beschleunigt laut PIK das Schmelzen unter den Eisschelfen, den schwimmenden Ausläufern des auf dem Untergrund aufliegenden Eisschildes der Westantarktis. Das Schmelzen der Eisschelfe kann den Eisverlust verstärken, indem es die Gletscher und Eisströme im Inland beschleunigt.
Mit Hilfe von Eisschildmodellen konnten die Studienautoren nicht nur nach Anzeichen für einen gegenwärtigen unumkehrbaren Rückzug in den marinen Teilen des antarktischen Eisschildes suchen. Sie untersuchten mithilfe von Simulationen auch, wie sich der Eisschild über 10.000 Jahre entwickeln würde, wenn die derzeitigen Klimabedingungen unverändert blieben.
Die Simulationen deuten laut PIK darauf hin, dass selbst ohne eine zusätzliche Erwärmung über das heutige Maß hinaus die Gefahr besteht, dass einige Bereiche des westantarktischen Eisschildes im Meer langfristig kollabieren. Da das Eis nur langsam auf Veränderungen reagiert, vollzieht sich laut PIK ein solcher Eisrückgang unter den gegenwärtigen Klimabedingungen "frühestens in 300 bis 500 Jahren". Ein vollständiger Zusammenbruch würde Jahrhunderte bis Jahrtausende dauern.
PIK-Expertin Ricarda Winkelmann warnte, schon die bislang eingetretene Erderwärmung könnte "ausreichen, um die Entwicklung hier vollständig aus dem Gleichgewicht zu bringen". Da die Westantarktis jedoch noch nicht destabilisiert sei, bestehe noch die Chance, "das Risiko durch ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen zumindest teilweise zu mindern".
(Y.Ignatiev--DTZ)