Charité-Studie: Neurologische Symptome bei Corona womöglich Folge von Immunreaktion
Neurologische Symptome nach einer Coronainfektion könnten eine Art Nebenwirkung der starken Immunreaktion sein, mit welcher der Körper sich gegen das Virus wehrt. Diese These wird von einer aktuellen Studie der Universitätsmedizin der Berliner Charité untermauert, die am Freitag im Fachmagazin "Nature Neuroscience" erschien. Das Forschungsteam untersuchte nach Charité-Angaben verschiedene Bereiche des Gehirns von 21 Menschen, die aufgrund einer schweren Coronainfektion im Krankenhaus gestorben waren.
Diese habe es mit neun Patientinnen und Patienten verglichen, die nach einer intensivmedizinischen Behandlung an anderen Krankheiten gestorben seien. In einigen Fällen habe sich das Erbgut des Coronavirus im Gehirn nachweisen lassen. "SARS-CoV-2-infizierte Nervenzellen haben wir jedoch nicht gefunden", erklärte die Leiterin der Arbeitsgruppe Chronische Neuroinflammation und eine der Studienleiterinnen, Helena Radbruch.
Die Forscherinnen und Forscher gingen davon aus, dass Immunzellen das Virus im Körper aufgenommen hätten und dann ins Gehirn gewandert seien. "Sie tragen noch immer Virus in sich, es infiziert aber keine Gehirnzellen." Das Coronavirus habe andere Zellen des Körpers, nicht aber das Gehirn befallen, erklärte Radbruch.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beobachteten den Angaben zufolge aber trotzdem auffällige Veränderungen der molekularen Vorgänge in manchen Zellen des Gehirns der Coronainfizierten. Beispielsweise hätten die Zellen den sogenannten Interferonsignalweg hochgefahren, der typischerweise bei einer Virusinfektion aktiviert werde. "Einige Nervenzellen reagieren offenbar auf die Entzündung im Rest des Körpers", erklärte der Leiter der Arbeitsgruppe Intelligent Imaging und weitere Studienleiter Christian Conrad.
Diese molekulare Reaktion könnte die neurologischen Beschwerden von Covid-19-Betroffenen wie Kopfschmerzen, Gedächtnisprobleme oder krankhafte Erschöpfung den Angaben nach gut erklären. "Zum Beispiel können Botenstoffe, die diese Zellen im Hirnstamm ausschütten, Fatigue verursachen", erklärte Conrad. Denn im Hirnstamm lägen Zellgruppen, die Antrieb, Motivation und Stimmungslage steuerten.
Die reaktiven Nervenzellen fanden sich laut Studie hauptsächlich in den sogenannten Kernen des Vagusnervs, also Nervenzellen, die im Hirnstamm sitzen und deren Fortsätze bis in Organe wie Lunge, Darm und Herz reichen. "Vereinfacht interpretieren wir unsere Daten so, dass der Vagusnerv die Entzündungsreaktion in unterschiedlichen Organen des Körpers 'spürt' und darauf im Hirnstamm reagiert – ganz ohne eine echte Infektion von Hirngewebe", fasste Radbruch zusammen.
Die Forscherinnen und Forscher fanden auch eine mögliche Erklärung für Long Covid. In den allermeisten Fällen nämlich reagierten die Nervenzellen nur vorübergehend auf die Entzündung, aber nicht in allen. "Wir halten es für möglich, dass eine Chronifizierung der Entzündung bei manchen Menschen für die oft beobachteten neurologischen Symptome bei Long Covid verantwortlich sein könnte", erklärte Conrad. Dies soll nun noch genauer untersucht werden.
(L.Møller--DTZ)