Deutsche Tageszeitung - Russische Regierung tritt nach Ankündigung von Verfassungsreform zurück

Russische Regierung tritt nach Ankündigung von Verfassungsreform zurück


 Russische Regierung tritt nach Ankündigung von Verfassungsreform zurück
Russische Regierung tritt nach Ankündigung von Verfassungsreform zurück / Foto: ©

Reform der Verfassung und eine neue Regierung: Russlands Präsident Wladimir Putin hat am Mittwoch eine Reihe von Änderungen an dem politischen System angekündigt, dem er seit 20 Jahren vorsteht. Nach Putins Ankündigung, dem Parlament künftig mehr Macht einräumen zu wollen, erklärte Ministerpräsident Dmitri Medwedew überraschend den Rücktritt seiner Regierung. Putin nominierte wenig später den weitgehend unbekannten Chef der Steuerbehörde, Michail Mischustin, als neuen Regierungschef.

Textgröße ändern:

Die wichtigsten Verfassungsreformen betreffen eine Stärkung des Parlaments bei der Regierungsbildung. Es soll künftig den Ministerpräsidenten wählen, dessen Ernennung der Präsident nicht ablehnen darf. Bislang bestätigt die Duma den vom Präsidenten vorgeschlagenen Regierungschef. Die "starke" Präsidialrepublik solle beibehalten werden, sagte Putin vor 1300 Gästen in seiner Rede zur Lage der Nation.

Es handele sich um eine "erhebliche" Änderung, für die Russland "reif" genug sei. Beide Parlamentskammern werden von Pro-Putin-Kräften dominiert, die sich dem Wunsch des Kreml-Chefs nie widersetzen.

Die Vorschläge des Präsidenten zu "grundlegenden Änderungen an der Verfassung" sähen erhebliche Änderungen im "Gleichgewicht der Kräfte" vor, sagte der langjährige Ministerpräsident und Putin-Vertraute Medwedew. "Als Regierung der Russischen Föderation müssen wir dem Präsidenten unseres Landes die Möglichkeit geben, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen", sagte Medwedew. Deshalb sei die Regierung in ihrer jetzigen Form zurückgetreten. "Alle weiteren Entscheidungen werden vom Präsidenten getroffen."

Putin dankte Medwedew und und seinen Ministern und bat sie, die Amtsgeschäfte bis zur Ernennung einer neuen Regierung fortzuführen. Medwedew bot er das Amt des Vizepräsidenten des Sicherheitsrats an, der von Putin geleitet wird.

Am Abend schlug Putin den Chef der Steuerbehörde, Michail Mischustin, als neuen Ministerpräsidenten vor, wie der Kreml mitteilte. Das Parlament muss der Ernennung binnen einer Woche zustimmen, es will bereits am Donnerstag mit den Beratungen darüber beginnen. Der 53 Jahre alte Mischustin leitet die russische Steuerbehörde seit 2010. Er ist weitgehend unbekannt, gilt aber als effizienter Funktionär.

Putin schlug zudem vor, im Zuge der Verfassungsreform nationales Recht über internationales Recht zu stellen. Außerdem sollen die Bedingungen für Präsidentschaftsbewerber verschärft werden: Sie müssen künftig 25 Jahre vor ihrer Kandidatur in Russland gelebt haben. Putin sprach sich für eine Volksabstimmung über die Verfassungsreform aus, nannte aber keinen Termin.

Der Präsident schlug zudem eine Änderung des Verfassungsartikels vor, der die Amtszeit des Präsidenten auf zwei aufeinanderfolgende Mandate begrenzt. Nähere Angaben machte er jedoch nicht. Aus verfassungsrechtlichen Gründen hatte Putin im Jahr 2008 nach zwei Amtszeiten als Staatschef seinem Vertrauten Medwedew den Vortritt bei der Präsidentschaftskandidatur gelassen, um vier Jahre später erneut selbst als Staatschef zu kandidieren. Von 2008 bis 2012 amtierte Putin als Ministerpräsident.

In Russland wird seit längerem über mögliche Änderungen des politischen Systems spekuliert, die es Putin erlauben würden, auch nach dem Ende seiner Amtszeit 2024 an der Macht zu bleiben. Welchen Einfluss die Verfassungsreform auf Putins künftige Rolle haben wird, war zunächst unklar. Kreml-Kritiker Alexej Nawalny erklärte, Putins einziges Ziel sei, "alleiniger Führer auf Lebenszeit" zu bleiben.

Weite Teile seiner rund 70-minütigen Rede widmete Putin dem Rückgang der Geburtenrate. Die demographische Krise sei eine Gefahr für die Zukunft Russlands und eine "historische" Herausforderung. Damit mehr Kinder geboren werden, sollten Finanzhilfen für junge Eltern nun schon beim ersten Kind gezahlt werden und nicht, wie bisher, erst bei der Geburt des zweiten Kindes. Außerdem kündigte Putin Unterstützung für arme Familien an. Seit 1991 ging die Bevölkerungszahl um fünf Millionen Einwohner zurück.

(U.Stolizkaya--DTZ)

Empfohlen

Frankreich: Mehr als 100.000 Menschen protestieren gegen rechtsgerichteten Premier

In Frankreich haben am Samstag nach Angaben des Innenministeriums mehr als 100.000 Menschen gegen die Ernennung des neuen rechtsgerichteten Premierministers Michel Barnier demonstriert. Allein in Paris waren es demnach 26.000. Aber auch in vielen anderen Städten wie Nantes, Nizza, Marseille und Straßburg gingen die Menschen gegen die Regierungsübernahme durch den 73-jährigen Konservativen auf die Straße. Die Wut der Demonstrierenden richtete sich auch gegen Präsident Emmanuel Macron.

Tausende in Israel demonstrieren erneut für Abkommen für Freilassung der Geiseln

Genau elf Monate nach dem beispiellosen Angriff der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel sind dort erneut tausende Menschen für ein Abkommen über eine Waffenruhe im Gazastreifen und die Freilassung aller Geiseln auf die Straße gegangen. Unter den Teilnehmern der Kundgebungen in Tel Aviv, Jerusalem und anderen Städten waren am Samstag auch Angehörige der immer noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln.

Niedrige Wahlbeteiligung: Präsidentschaftswahl in Algerien zu Ende gegangen

Nach einer einstündigen Verlängerung ist die Präsidentschaftwahl in Algerien am Samstag zu Ende gegangen. Statt wie geplant um 20.00 Uhr schlossen die Wahllokale in dem nordafrikanischen Land angesichts einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung erst um 21.00 Uhr Ortszeit (22.00 Uhr MESZ).

Großdemo für "Freiheit" nach Sperrung des Onlinediensts X in Brasilien

Nach der Sperrung des Onlinedienstes X in Brasilien sind in dem südamerikanischen Land am Samstag tausende Demonstranten auf die Straße gegangen. Die Kundgebung in der Wirtschaftsmetropole São Paulo fand am brasilianischen Unabhängigkeitstag als Gegenveranstaltung zu einer offiziellen Parade in der Hauptstadt Brasília mit dem linksgerichteten Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva statt. Dessen rechtsextremer Amtsvorgänger Jair Bolsonaro unterstützte den Protestmarsch in São Paulo.

Textgröße ändern: