Merkel würdigt am Tag der Einheit den Mut der DDR-Bürger
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den Mut der DDR-Bürger im Herbst 1989 gewürdigt. Die Menschen hätten sich damals erhoben, ihre Angst überwunden und die Spielregeln des "Untertanen- und Unrechtsstaats" außer Kraft gesetzt, sagte Merkel beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit am Donnerstag in Kiel. Seitdem sei zwar "unglaublich viel erreicht" worden. Doch fühle sich Umfragen zufolge die Mehrheit der Ostdeutschen "als Bürger zweiter Klasse".
Die Einheit sei bis heute nicht vollendet, hob die Kanzlerin hervor. Sie sei ein "fortwährender Prozess, ein ständiger Auftrag". Die selbst aus dem Osten stammende Regierungschefin nutzte den 29. Tag der deutschen Einheit für einen Appell für mehr Verständnis für die Menschen aus den neuen Bundesländern: Alle müssten lernen zu verstehen, "was es für den einzelnen Menschen bedeutete, als auf die Last der Teilung die Wucht der Einheit folgte".
Merkel warb auch für offene und kontroverse Debatten, mahnte zugleich aber die Einhaltung der "Spielregeln" des Grundgesetzes an. Es gelte: "Nein zu Intoleranz, Nein zu Ausgrenzung, Nein zu Hass und Antisemitismus". Als Bürger in einer Demokratie hätten alle die Verpflichtung, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit immer wieder aufs Neue zu sichern. Dazu gehöre, "dass niemand, der öffentlich Verantwortung übernimmt, um Leib und Leben fürchten muss".
Kein Land könne allein die Herausforderungen der Zukunft bewältigen. Daher müssten "wir mehr denn je multilateral statt unilateral denken und handeln", "global statt national, weltoffen statt isolationistisch, gemeinsam statt allein", appellierte die Bundeskanzlerin.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) griff bei dem Festakt, an dem unter anderen auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teilnahm, die AfD scharf an. "Die Menschen in der DDR waren damals extrem mutig, als sie auf die Straße gingen und die Wiedervereinigung auf friedliche Weise erlangten", sagte der amtierende Bundesratspräsident. Es sei "eine Verhöhnung der Leistung dieser Menschen, wenn Parteien diesen Mut heute für ihre parteipolitischen Zwecke missbrauchen, indem sie von der Wende 2.0 reden", fügte Günther hinzu, ohne die AfD direkt zu nennen.
Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck nannte die friedliche Freiheitsrevolution von 1989 im Interview mit RTL und n-tv "eine wirkliche Umwälzung", die auch ins kollektive Bewusstsein der Nation eingehen müsse.
Innenminister Horst Seehofer (CSU) geht davon aus, dass innerhalb des kommenden Jahrzehnts die Lebensverhältnisse in ganz Deutschland gleichwertig sein werden. Das gelte nicht nur für die neuen Bundesländer, sondern auch für strukturschwache Regionen in anderen Teilen Deutschlands, sagte Seehofer der "Bild am Sonntag".
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) nannte die deutsche Einheit "ein großes demokratisches Glück". "Seitdem gab es viele Veränderungen, nicht alle waren einfach, aber sie haben gezeigt: Wenn wir solidarisch zusammenhalten, dann gelingt es auch", hob Scholz hervor.
Einer Umfrage für die "BamS" zufolge glaubt nur die Hälfte der Deutschen, dass Deutschland zu einem geeinten Land zusammengewachsen ist. 50 Prozent der Befragten meinen, Deutschland sei vereinigtes Land, 47 Prozent glauben das nicht, wie aus der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid hervorgeht.
(P.Tomczyk--DTZ)