Deutsche Tageszeitung - Istanbuler CHP-Vorsitzende zu fast zehn Jahren Haft verurteilt

Istanbuler CHP-Vorsitzende zu fast zehn Jahren Haft verurteilt


Istanbuler CHP-Vorsitzende zu fast zehn Jahren Haft verurteilt
Istanbuler CHP-Vorsitzende zu fast zehn Jahren Haft verurteilt / Foto: ©

Die Istanbuler Vorsitzende der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) ist am Freitag zu fast zehn Jahren Haft verurteilt worden. Ein Gericht der türkischen Metropole befand Canan Kaftancioglu wegen alter Tweets unter anderem der "Terrorpropaganda" und der "Präsidentenbeleidigung" schuldig, wie ihre Partei mitteilte. Bei einem Auftritt vor hunderten Anhängern verurteilte sie die Entscheidung als politisch motiviert.

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"Die Entscheidungen werden nicht von den Gerichten getroffen, sondern im (Präsidenten)-Palast", sagte Kaftancioglu vor dem Istanbuler Justizgebäude Caglayan. "Dieser Prozess sollte Istanbul und jene bestrafen, die zum Sieg des Volkes in Istanbul beigetragen haben." Sie werde niemals ihre Überzeugungen aufgeben und sich nicht einschüchtern lassen, sagte die streitbare Oppositionspolitikerin auf einer Bühne, die ihre Partei aufgebaut hatte.

Kaftancioglu war in dem seit Ende Juni laufenden Prozess wegen kritischer Twitter-Botschaften aus den Jahren 2012 bis 2017 unter anderem der "Beleidigung des Präsidenten", der "Beleidigung der Türkischen Republik" und der "Propaganda für eine Terrororganisation" angeklagt. Sie gilt als rechte Hand des neuen Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu und als Architektin seines zweifachen Wahlsiegs im März und Juni.

Schon bei den ersten Anhörungen hatte Kaftancioglu das Verfahren als "illegitim" und "politisch" verurteilt. "Dieser Prozess soll mich dafür bestrafen, dass ich dafür gekämpft habe, Istanbul dem Volk zurückzugeben", sagte sie bei einem Auftritt nach der zweiten Anhörung im Juli. Ihre Partei warf der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan vor, sich mit dem Prozess an der CHP für ihren Wahlsieg in Istanbul rächen zu wollen.

Ungeachtet der Kritik verurteilte das Gericht Kaftancioglu nun zu einer Strafe von insgesamt neun Jahren, acht Monaten und 20 Tagen Haft. Da sie keine Reue gezeigt habe, wurde die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt, wie die CHP mitteilte. Dies wurde unter anderem damit begründet, dass Kaftancioglu nach einer vorherigen Gerichtsanhörung ein kritisches Gedicht des linken Dichters Nazim Hikmet verlesen hatte.

Allerdings wird die CHP-Politikerin für die Dauer des Berufungsverfahrens nicht festgenommen. Nach Angaben ihrer Partei muss nun ein Berufungsgericht binnen sechs Monaten über den Fall entscheiden. Unter anderem erhielt sie 18 Monate Haft für "Terrorpropaganda", 20 Monate für "Beleidigung eines Staatsvertreters", 28 Monate für "Beleidigung des Präsidenten" und 32 Monate für "Volksverhetzung".

Kaftancioglu war unter anderem angeklagt wegen eines Tweets zum Tod eines 14-jährigen Jungen, der während der Gezi-Proteste im Sommer 2013 von einem Tränengaskanister der Polizei am Kopf getroffen worden war. In einem anderen Tweet hatte sie einen Vertreter der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zitiert. Dies wurde von dem Gericht nun als "Propaganda für eine Terrororganisation" gewertet.

Die streitbare Politikerin mit dem markanten Kurzhaarschnitt provoziert schon lange viele Konservative mit ihrem selbstbewussten Auftreten und ihren politischen Ansichten. Als die 47-jährige Gerichtsmedizinerin Anfang 2018 zur CHP-Vorsitzenden in Istanbul gewählt wurde, bezeichnete Erdogan sie als "Terroristin". Die Anklage wegen ihrer alten Tweets fiel mitten in den Wahlkampf für das Bürgermeisteramt in Istanbul.

(A.Nikiforov--DTZ)

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