Wirtschaft erleichtert - Brexit-Hardliner sauer
Die EU und die britische Wirtschaft haben erleichtert auf den vorerst erneut abgewendeten Chaos-Brexit reagiert. Bei einem Sondergipfel entschieden die EU-Staats- und Regierungschefs in der Nacht zum Donnerstag, das Brexit-Datum auf den 31. Oktober zu verschieben. Premierministerin Theresa May hofft weiter auf einen geregelten Austritt vor der Europawahl Ende Mai. In ihrer konservativen Partei zeigten sich Brexit-Hardliner empört über die bis zu sechsmonatige Verschiebung.
Bis Ende Oktober sei das Vorgehen beim Brexit nun "vollständig in den Händen des Vereinigten Königreichs", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk nach achtstündigen Gipfel-Beratungen. Das Land könne das mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen "noch ratifizieren" und dann auch früher austreten. Es könne aber "auch die gesamte Brexit-Strategie überdenken". Und bis zuletzt habe London die Möglichkeit, den Brexit abzusagen.
Premierministerin May betonte, Großbritannien habe weiter die Möglichkeit, vor den Europawahlen Ende Mai aus der EU auszutreten. Wenn das Austrittsabkommen vor dem 22. Mai ratifiziert werde, "müssen wir keine Wahlen zum europäischen Parlament abhalten", sagte sie in Brüssel.
EU-Gegner unter ihren Konservativen kritisierten Mays Zustimmung zu der Verlängerung. "Der Druck auf sie zu gehen wird dramatisch zunehmen", sagte der frühere Brexit-Minister David Davis der BBC. Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg erinnerte May daran, dass sie noch vor einigen Wochen eine Verschiebung ausgeschlossen habe - "und jetzt bekommen wir eine ziemlich lange".
Das britische Unterhaus hat das Austrittsabkommen bereits drei Mal abgelehnt. Auch jüngst von May mit der Labour-Opposition aufgenommene Gespräche haben noch zu keinem Durchbruch geführt.
Angesichts der festgefahrenen Situation hatten sich Deutschland und die meisten EU-Staaten bei dem Sondergipfel für eine deutliche Verschiebung ausgesprochen. Tusk hatte ein Jahr vorgeschlagen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stemmte sich aber gegen eine lange Verschiebung. Er warnte dabei davor, dass die Arbeit der EU durch einen längeren Verbleib der Briten gelähmt werden könnte.
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen kritisierte den französischen Präsidenten scharf. Ein längerer Aufschub wäre besser gewesen, schrieb der Vorsitzende des Außenausschusses im Bundestag auf Twitter. Für Macron seien aber "sein Wahlkampf und seine Interessen" wichtiger gewesen als die europäische Einheit.
In der Gipfel-Erklärung hieß es, die Verlängerung dürfe "ein normales Funktionieren der Union und ihrer Institutionen nicht untergraben". London verpflichtet sich demnach, "alle Maßnahmen (zu) unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten". Verweigert Großbritannien die Teilnahme an der Europawahl, scheidet es zudem automatisch am 1. Juni aus der EU aus.
Macron sprach nach dem Gipfel "vom bestmöglichen Kompromiss". Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte, dass die Einigkeit der EU gewahrt blieb.
"Diese neue Verlängerung bedeutet, dass eine drohende Wirtschaftskrise verhindert werden konnte", erklärte die Geschäftsführerin des britischen Industrieverbandes CBI, Carolyn Fairbairn, auf Twitter. Nötig sei nun eine "ernsthafte überparteiliche Zusammenarbeit, um dieses Chaos zu beenden".
Ob der Oktober wirklich der absolute Schlusspunkt im Brexit-Drama ist, ist nicht sicher. Tusk sagte, er könne eine nochmalige Verlängerung nicht ausschließen.
In der EU schürte die Verschiebung Hoffnungen, dass Großbritannien auf den Austritt verzichten könnte. "Bei den Europawahlen läge es in der Hand der britischen Wähler, eine Dynamik gegen den Brexit loszutreten", sagte der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold. Der SPD-Europapolitiker Udo Bullmann (SPD) sprach sich für ein zweites Referendum über den Verbleib in der EU aus.
(P.Tomczyk--DTZ)