Algerien sucht nach einer Zukunft ohne Bouteflika
Nach dem Rücktritt von Präsident Abdelaziz Bouteflika herrscht in Algerien noch Unklarheit, wann und wie seine Nachfolge geregelt wird. Zunächst nahm am Mittwoch der algerische Verfassungsrat das Rücktrittsgesuch des langjährigen Staatschefs an, auch sollte das Parlament informiert werden. Die wöchentlichen Großdemonstrationen sollen trotz des Abgangs des greisen Präsidenten auch an diesem Freitag fortgesetzt werden. Zahlreiche Organisationen forderten einen vollständigen, politischen Wandel.
In einer gemeinsamen Erklärung riefen rund zwanzig gesellschaftliche Gruppen dazu auf, die Proteste fortzusetzen. In dem gemeinsamen Appell von Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaften, Jugend- und Frauenverbänden heißt es, Bouteflikas Rücktritt sei zwar "ein erster Sieg", er garantiere aber nichts. Um einen "Wandel im Innersten der Macht" zu erreichen, seien weitere Demonstrationen notwendig.
Im Gegensatz zu den Nachbarländern Tunesien und Libyen hatte der arabische Frühling in Algerien nicht zum Sturz des Staatsoberhaupts geführt. Zuletzt hatte sich die Unzufriedenheit mit Bouteflika aber wochenlang massiv Bahn gebrochen. Die Großdemonstrationen, an denen sich freitags in Algier oft Hunderttausende beteiligten, hatten entscheidend zum Sturz von Bouteflika beigetragen.
"Bouteflikas Abgang ist nicht mehr genug", sagte der 44-jährige Ingenieur Hamid Boumaza der Nachrichtenagentur AFP. "Wir wollen, dass sie alle gehen", sagte er mit Blick auf die Regierung. "Wir wollen vollständige Freiheit, und wir werden so lange marschieren, wie es nötig ist." Ähnlich sah es der 35-jährige Amal, der in einem T-Shirt mit der Aufschrift "Ich bin gegen das System" in Algier demonstrierte. Er wolle, dass sich seine Tochter an diesen geschichtsträchtigen Tag erinnere, sagte er: "Bouteflika ist weg, aber das hier ist noch lange nicht vorbei." Auch er wolle am Freitag wieder auf die Straße gehen.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres äußerte die Hoffnung auf einen friedlichen und demokratischen Übergang, der "den Wünschen der algerischen Bevölkerung" entspricht. Er würdigte die "wohlüberlegte und friedliche Art", in der die Demonstranten ihren Wunsch nach Veränderung ausgedrückt hätten.
Der algerische Verfassungsrat hatte nach einem Bericht des Staatsfernsehens zuvor das Rücktrittsgesuch von Bouteflika angenommen. Die algerische Verfassung sieht als nächsten Schritt eine gemeinsame Sitzung beider Parlamentskammern vor. Einen Termin dafür gibt es bisher noch nicht. Einstweilen führt der Vorsitzende der oberen Parlamentskammer, der 77-jährige Abdelkader Bensalah, die Amtsgeschäfte. Er muss dafür sorgen, dass innerhalb von 90 Tagen Wahlen stattfinden.
Nach wochenlangen Massendemonstrationen gegen den greisen Bouteflika und sein Umfeld hatte sich zuletzt auch das Militär gegen ihn gestellt. Am Dienstagabend hatte er dann seinen Rückzug von der Staatsspitze bekanntgegeben. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur APS schrieb Bouteflika, er wolle zur "Befriedung der Herzen und Gemüter" seiner Landsleute beitragen.
Das Staatsfernsehen zeigte Bilder, auf denen ein sichtlich erschöpfter Bouteflika sein Rücktrittsschreiben an den Vorsitzenden des Verfassungsrats übergibt. In der Hauptstadt Algier ertönten nach der Ankündigung Autohupen. Menschen strömten auf die Straße und feierten mit Algerien-Fahnen den Rücktritt des Präsidenten.
Die algerische Tageszeitung "El Khabar" kommentierte am Mittwoch, die erfolgreiche Protestbewegung habe "die Macht dem Volk zurückgegeben". In der Zeitung "Liberté" hieß es, Bouteflika sei gefangen gewesen in "seinem Unvermögen, sein Ende einzugestehen". Und "El Watan" schrieb, der Präsident hätte sich nie einen solche "traurigen Abgang" vorgestellt - "er, der doch geschworen hatte, ’an der Macht zu sterben’".
(U.Beriyev--DTZ)