Türkische Kommunalwahlen als Stimmungstest für Erdogan
Inmitten heftiger wirtschaftlicher Turbulenzen sind die Türken am Sonntag zu den Urnen gerufen worden, um neue Bürgermeister und Stadträte zu wählen. Die landesweiten Kommunalwahlen waren ein wichtiger Stimmungstest für Präsident Recep Tayyip Erdogan, dessen islamisch-konservative AK-Partei in Istanbul und Ankara um ihre Macht fürchten musste. Bei Auseinandersetzungen in Wahllokalen wurden zwei Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt.
Rund 57 Millionen Wähler waren am Sonntag aufgerufen, in den 81 Provinzen des Landes Stadtbürgermeister, Bezirksbürgermeister, Stadträte und Dorf- und Bezirksvorsteher zu wählen. Besonders in Istanbul und Ankara wurde mit einem engen Rennen gerechnet. Nach Schließung der Wahllokale um 17.00 Uhr Ortszeit (16.00 Uhr MESZ) begann umgehend die Auszählung der Stimmzettel. Es wurde mit ersten Ergebnissen am frühen Abend gerechnet.
Bei einem Streit in einem Wahllokal in der zentralanatolischen Provinz Malatya wurden laut türkischen Medienberichten ein Mitglied der örtlichen Wahlkommission und ein Beobachter der islamischen Saadet-Partei getötet. Laut dem Saadet-Vorsitzenden Temel Karamollaoglu hatten sie sich beschwert, dass Wähler gezwungen werden sollten, ihre Stimme öffentlich abzugeben. Der Täter soll demnach ein Neffe des AKP-Kandidaten gewesen sein.
Erdogan äußerte sich bei der Stimmabgabe in Istanbul "bestürzt" über den Vorfall und rief Karamollaoglu an. Auch aus den Provinzen Diyarbakir, Mardin und Istanbul wurden gewaltsame Auseinandersetzungen in Wahllokalen gemeldet, bei denen mehrere dutzend Menschen verletzt wurden. Schon bei früheren Wahlen hatte es immer wieder Tote und Verletzte bei Konflikten zwischen Anhängern verschiedener Kandidaten gegeben.
Der Wahlkampf war geprägt von scharfen Angriffen Erdogans auf die Opposition, die er als Feinde der Türkei und des Islam bezeichnete. Die Wahl erklärte er zur Frage des "nationalen Überlebens" angesichts der Bedrohung durch innere und äußere Feinde. Obwohl Erdogan selbst nicht zur Wahl stand, tourte er über Wochen durch das Land und machte so den Urnengang auch zu einer Abstimmung über seine eigene Politik.
"Für uns sind dies tatsächlich Wahlen für das Überleben des Landes. Denn wenn Erdogan geschwächt wird, wird die Türkei geschwächt", sagte der Student Sinan Kaya bei der Stimmabgabe im Istanbuler Viertel Kasimpasa, wo Erdogan aufgewachsen ist. Der Wähler Hüsnü Acar sagte dagegen im Istanbuler Bezirk Beylikdüzü, "die Wirtschaft läuft schrecklich, sie ist erledigt". Nicht die Türkei, sondern die AKP habe "ein Überlebensproblem".
Die Wirtschaftslage ist alles andere als günstig für die AKP: Erstmals seit zehn Jahren ist die Türkei in die Rezession gerutscht, die Inflation liegt bei 20 Prozent und die Arbeitslosigkeit ist auf 13,5 Prozent gestiegen. Kurz vor der Wahl sorgten starke Schwankungen der Währung für zusätzliche Nervosität in Ankara, nachdem die Lira vergangenen Sommer inmitten einer diplomatischen Krise mit den USA massiv eingebrochen war.
In Istanbul schickte Erdogans AKP den früheren Regierungschef Binali Yildirim ins Rennen, während die Opposition auf den jungen Bezirksbürgermeister Ekrem Imamoglu setzte. In der Hauptstadt Ankara trat Mansur Yavas für die Opposition gegen den AKP-Amtsinhaber Mehmet Özhaseki an. Bei der Wahl hatte die AKP ein Bündnis mit der ultrarechten MHP gebildet, während sich die linksnationalistische CHP mit der rechten IYI-Partei verbündet hatte.
Die prokurdische HDP, die nur im kurdischen Südosten Kandidaten aufgestellt hatte, warf der Regierung eine Behinderung ihres Wahlkampfs vor. Insgesamt seien mehr als 700 HDP-Funktionäre und Mitglieder festgenommen worden, allein über 50 am Samstag in Istanbul, erklärte sie. Im staatlichen Rundfunk TRT bekam sie laut dem Rundfunkrat keine einzige Minute Sendezeit im Wahlkampf, während AKP und MHP über 27 Stunden erhielten.
(V.Korablyov--DTZ)