Islamistische Kämpfer verkünden Sturz von Assad und feiern in Damaskus
Nach Jahrzehnten brutaler Herrschaft ist Syriens Machthaber Baschar al-Assad offenbar gestürzt worden: Islamistische Kämpfer der Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) verkündeten am Sonntag die Einnahme der Hauptstadt Damaskus und die Flucht von Assad. Im Zentrum von Damaskus waren Freudenschüsse zu hören, Jubel und "Allahu Akbar"-Rufe (Gott ist groß). Die Vereinigten Arabischen Emirate riefen die Syrer auf, nach Jahren des Bürgerkriegs nun zusammenzuarbeiten und ein "Chaos" zu vermeiden.
Die islamistischen HTS-Kämpfer und mit ihr verbündete Milizen waren seit Ende November vom Nordwesten des Landes aus mit unglaublicher Geschwindigkeit vorgerückt, hatten Großstädte handstreichartig eingenommen und standen binnen weniger Tage vor den Toren von Damaskus. Die syrische Armee gab viele Positionen kampflos auf.
Nun verkündeten die Milizen im Staatsfernsehen am Sonntag, der "Tyrann" Assad sei gestürzt und Damaskus befreit worden. Sie verlasen eine Erklärung, derzufolge "alle zu Unrecht Inhaftierte" freigelassen werden sollten. Kämpfer und Bürger wurden aufgerufen, das Eigentum des syrischen Staates zu schützen. Auf einem Platz im Zentrum von Damaskus wurde AFP-Bildern zufolge eine Statue von Hafis al-Assad, dem Vater von Baschar al-Assad, umgestürzt und zerschlagen. Der Assad-Clan hatte das Land seit über 50 Jahren mit eiserner Hand regiert.
Nach der "Unterdrückung" der Assad-Zeit sei nun "der Beginn einer neuen Ära für Syrien" gekommen, erklärten die islamistischen Kämpfer im Onlinedienst Telegram. "Der Tyrann Baschar al-Assad ist geflohen". Die Kämpfer riefen die ins Ausland geflüchteten Syrer auf, in ein "freies Syrien" zurückzukehren.
Assad habe Syrien über den internationalen Flughafen von Damaskus verlassen, bevor sich Armee und Sicherheitskräfte dort zurückgezogen hätten, teilte der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, mit.
Auch Maslum Abdi, der Anführer der von kurdischen Kämpfern dominierten und von den USA unterstützten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), sprach von "historischen" Momenten und dem Sturz von Assads "autoritärem Regime". Der "Wandel" biete eine "Chance, ein neues Syrien aufzubauen, das auf Demokratie und Gerechtigkeit basiert und die Rechte aller Syrer garantiert", fügte Abdi im Onlinedienst Telegram an.
Der designierte US-Präsident Donald Trump erklärte, Assad sei geflohen, nachdem er die Rückendeckung aus Moskau verloren habe. "Assad ist weg", schrieb Trump auf seiner Onlineplattform Truth Social. Russland unter Kremlchef Wladimir Putin habe kein Interesse mehr gehabt, Assad zu schützen.
Assads Regierung hatte zuvor noch bestritten, dass sich die Armee aus Gegenden um Damaskus zurückgezogen hätten. Nach Berichten über die Flucht des Präsidenten erklärte Regierungschef Mohammed al-Dschalali indes in einem Video im Internetdienst Facebook, er sei bereit zur Kooperation mit "jeder Führung, die das syrische Volk bestimmt". Er stehe für jegliches Verfahren zur Machtübergabe bereit.
"Dieses Land kann ein normales Land sein, das gute Beziehungen zu seinen Nachbarn und der Welt aufbaut", sagte al-Dschalili weiter. Dies liege in den Händen "jeder Führung, die das syrische Volk bestimmt".
Auch die Vereinigten Arabischen Emirate riefen die Syrer auf, ein neues "Chaos" zu vermeiden. "Wir hoffen, dass die Syrer zusammenarbeiten", sagte Präsidentenberater Anwar Gargasch in Manama in Bahrein.
Nach Angaben aus dem Umfeld der libanesischen Hisbollah zog die mit Assad verbündete pro-iranische Miliz ihre Kämpfer aus der syrischen Stadt Homs und den Außenbezirken der Hauptstadt Damaskus ab. Einige von ihnen sollten nach Latakia in Syrien gehen, andere in die Region Hermel im Libanon.
Der Anführer der HTS-Kämpfer rief unterdessen seine Kräfte zur Zurückhaltung auf. "Allen militärischen Kräften in der Stadt Damaskus ist es strengstens untersagt, sich öffentlichen Einrichtungen zu nähern, die bis zu ihrer offiziellen Übergabe unter der Aufsicht des ehemaligen Ministerpräsidenten bleiben werden", erklärte der unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Dscholani bekannte HTS-Anführer bei Telegram. Es sei außerdem verboten, in die Luft zu schießen, fügte er hinzu und benutzte dabei seinen bürgerlichen Namen Ahmed al-Scharaa.
Dennoch kam es offenbar zur Plünderung der iranischen Botschaft in Damaskus. Das iranische Staatsfernsehen zeigte Bilder der Verwüstung. Auch die Zentralbank des Landes wurde offenbar von Plünderern angegriffen, wie AFP-Bilder zeigten. Der Irak ließ seine Botschaft in Syrien evakuieren, die Angestellten seien "auf dem Landweg" in die libanesische Hauptstadt Beirut gereist.
Die HTS teilte zudem mit, ihre Kämpfer seien in das berüchtigte Sednaja-Gefängnis am Rande von Damaskus eingedrungen. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte bestätigte, die Türen des Gefängnisses seien für "Tausende Häftlinge" geöffnet worden, die "während der gesamten Herrschaft des Regimes" vom Sicherheitsapparat gefangen genommen worden seien.
Die islamistischen Kämpfer hatten nach Jahren des weitgehenden Stillstands im syrischen Bürgerkrieg am 27. November überraschend eine Großoffensive gegen die Regierungstruppen gestartet. Der Bürgerkrieg hatte 2011 begonnen, nachdem Assad pro-demokratische Proteste gegen die Regierung mit Gewalt hatte niederschlagen lassen. Eine halbe Million Menschen wurden in Syrien getötet und Millionen weitere vertrieben.
HTS ist aus der Al-Nusra-Front, dem syrischen Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida, hervorgegangen, hat nach eigenen Angaben aber seit 2016 keine Verbindungen mehr zu Al-Kaida.
(G.Khurtin--DTZ)