Fraktionen im Europaparlament legen Streit um neue EU-Kommission bei
Das Europaparlament hat seinen Streit um die Spitzenposten in der nächsten EU-Kommission grundsätzlich beigelegt. Die drei großen Fraktionen der Europäischen Volkspartei (EVP) um CDU und CSU sowie der Sozialdemokraten und der Liberalen einigten sich am Mittwoch, die Blockade um die künftigen Stellvertreterinnen und Stellvertreter von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zu beenden. Grünen-Politiker kritisierten die Vereinbarung ohne ihre Beteiligung als "Farce".
Unter den designierten Vizekommissionspräsidenten sind der Rechtsaußenpolitiker Raffaele Fitto aus Italien, an dem sich der Streit entzündet hatte, sowie die ebenfalls umstrittene Sozialdemokratin Teresa Ribera aus Spanien. Fitto soll die milliardenschweren EU-Regionalfördergelder verantworten, Ribera unter anderem die Wettbewerbspolitik.
Die Nominierung Fittos war bei Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen auf scharfe Kritik gestoßen. Sie hatten von der Leyen aufgefordert, ihm den Spitzenposten zu entziehen. Fitto gehört der postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia von Regierungschefin Giorgia Meloni an.
Aufgrund des Widerstands gegen Fitto machten die konservativen Abgeordneten ihrerseits Front gegen die spanische Sozialdemokratin Ribera. Sie machten die bisherige Umweltministerin für den Umgang der spanischen Behörden mit den Überschwemmungen in der Region Valencia Ende Oktober verantwortlich, bei denen 227 Menschen ums Leben kamen. Deshalb stockte ihre Bestätigungen und die von weiteren eigentlich unumstrittenen Kommissarinnen und Kommissaren.
Am Mittwochabend sollten die Obleute der zuständigen Fachausschüsse im Parlament über die sieben verbliebenen Kommissarinnen und Kommissare abstimmen, wie EU-Parlamentssprecherin Delphine Colard im Onlinedienst X mitteilte. Nötig war jeweils eine Zweidrittelmehrheit. Auf Grundlage der politischen Einigung wurde mit einer Bestätigung aller sieben Kandidaten gerechnet.
Am Mittwoch kommender Woche soll dann das Plenum des Europaparlaments die gesamte Kommission wählen. Von der Leyens neues Team könnte die Arbeit dann am 1. Dezember aufnehmen. Die deutsche Kommissionschefin selbst war bereits im Juli vom Parlament für eine zweite Amtszeit bestätigt worden.
Wegen des Streits zwischen den Fraktionen konnten auch unstrittige Vizepräsidentinnen und -präsidenten zwischenzeitlich nicht wie nötig vom Parlament bestätigt werden. Dazu gehören die designierte EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas und der für Industriepolitik vorgesehene Franzose Stéphane Séjourné. Auch die Finnin Henna Virkkunen und die Rumänin Roxana Minzatu mussten warten. Virkkunen soll künftig in Brüssel den Bereich Digitales verantworten, Minzatu Arbeit und Soziales.
Zu den Wackelkandidaten gehörte zudem der designierte EU-Gesundheitskommissar Oliver Varhelyi aus Ungarn. Der Vertraute des umstrittenen ungarischen Regierungschefs Viktor Orban hatte sich wegen abfälliger Äußerungen über Europaabgeordnete Feinde gemacht. Weil er sich in seiner Anhörung zudem ausweichend zum Recht auf Abtreibung äußerte, sollen seine Zuständigkeiten nach Parlamentsangaben um diesen Bereich beschnitten und an die Belgierin Hadja Lahbib übertragen werden.
Konservative, Sozialdemokraten und Liberale verständigten sich zudem auf einen Text über ihre künftige Zusammenarbeit, für den unter anderem der EVP-Vorsitzende Manfred Weber (CSU) verantwortlich zeichnet. Die Sozialdemokraten hatten von Weber eine klare Absage jeder Zusammenarbeit mit Rechtsaußenparteien verlangt. In dem zweiseitigen Dokument, das der Nachrichtenagentur AFP vorliegt, heißt es dazu: "Die Rechtsstaatlichkeit, eine pro-ukrainische Haltung und ein pro-europäischer Ansatz sind Kernaspekte unserer Zusammenarbeit." Von der Leyen hatte wiederholt deutlich gemacht, dass dies nach ihrer Ansicht eine Kooperation etwa mit Melonis Postfaschisten ermöglicht.
Der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss verurteilte die Abmachung zwischen den drei Fraktionen. "Die Bewertungen der EU-Kommissare sind eine Farce", erklärte er. Die "taktischen Machtspielchen" beschädigten das Europaparlament, kritisierte er.
(M.Dorokhin--DTZ)