Deutschland: Kritik an Kompromiss zu Werbeverbot für Abtreibungen
Erst wurde monatelang um das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche gestritten, nun stößt der Koalitionskompromiss auf viel Kritik. Scharfe Ablehnung äußerten am Donnerstag die SPD-Frauen sowie Verbände wie die Arbeiterwohlfahrt und pro familia. Auch Grüne und Linke kritisierten die Einigung vom Vorabend. Zustimmung kam hingegen von der Bundesärztekammer, dem Bundesverband der Frauenärzte und den Kirchen. Offen ist, wie die rechtliche Neuregelung genau aussehen soll.
Der Kompromiss zwischen Union und SPD sieht eine rechtliche Neuregelung vor, die festlegen soll, dass und wie Ärzte und Krankenhäuser künftig darüber informieren können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Werbung dafür darf es aber auch künftig nicht geben. Die SPD hatte zuvor auf eine Abkehr vom bisherigen Strafrechtsparagrafen 219a gedrängt, mit dem sich Ärzte strafbar machen, die über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Die Union lehnte eine Streichung des Gesetzes ab und setzte sich damit durch.
Die Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sollen nun Kontaktinformationen zu Schwangerschaftsabbrüchen zur Verfügung stellen. Der neue Gesetzentwurf soll im Januar vorgelegt werden. Konkret soll für die Neuregelung der bisherige Paragraf 219a ergänzt und das Schwangerschaftskonfliktgesetz geändert werden.
Justizminister Katarina Barley (SPD) sagte am Mittwochabend, die Einigung bringe die erforderliche Rechtssicherheit und berge die Chance für einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Auch der an den Beratungen beteiligte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) begrüßte die erzielte Einigung. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach im "Focus" von einem "tragfähigen Kompromiss".
SPD-Chefin Andrea Nahles kündigte an, ihre Fraktion werde nunmehr den genauen Gesetzestext abwarten, bewerten "und schließlich darüber abstimmen". Die neue CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer begrüßte, dass das Werbeverbot erhalten bleibe.
Harsche Kritik kam von den SPD-Frauen. Zwar müsse ein Kompromiss ein Treffen auf halber Strecke sein, sagte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF), Maria Noichl, den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (Freitagsausgaben). In dem "angeblichen Kompromisspapier" werde Paragraf 219a aber nicht gestrichen, sondern nur verändert. "Dem können die SPD-Frauen niemals zustimmen."
Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Gesine Agena, erklärte, Paragraf 219a sei "veraltet und gehört abgeschafft". Linken-Fraktionsvize Cornelia Möhring warf der SPD vor, sie wähle "Opportunismus statt Haltung". FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae kommentierte: "Die Regierung quält sich bei diesem Thema in winzigen Schritten voran."
Die auf Grundlage des umstrittenen Strafrechtsparagrafen 219a verurteilte Ärztin Kristina Hänel und zwei Kolleginnen erklärten, sie seien "entsetzt". Auch pro familia zeigte sich "bestürzt" über das "dürftige, fachlich kontraproduktive Ergebnis". "Der Paragraf 219a muss gestrichen werden." Ähnlich äußerte sich das Zukunftsforum Familie (ZFF). Für Terre des Femmes sagte Bundesgeschäftsführerin Christa Stolle, "im 21. Jahrhundert sollte es doch in Deutschland uneingeschränkt möglich sein, sich als Frau über die Bedingungen eines Schwangerschaftsabbruches zu informieren".
"Das ist ein fauler Kompromiss", sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack.Der AWO-Vorsitzende Wolfgang Stadler sprach von einem "Armutszeugnis" und einem "Schlag ins Gesicht für die betroffenen Frauen".
Dagegen begrüßte Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery den Koalitionskompromiss. Offenkundig bemühten sich die Koalitionsfraktionen um eine konstruktive Lösung, sagte er im Deutschlandfunk. Der Präsident des Bundesverbandes der Frauenärzte, Christian Albring, sagte nach Information von Deutsche Tageszeitung, in einem aktuellen Interview: "Wir haben nie verlangt, dass der ganze Paragraph abgeschafft wird, denn eine Werbung für Schwangerschaftsabbrüche halten wir auch nicht für notwendig."
Für die Evangelische Kirche sagte der Bevollmächtigte des Rates der EKD, Martin Dutzmann, der "Rheinischen Post" (Freitagsausgabe) er halte es für richtig, dass Frauen sich umfassend über Abtreibungen informieren können. Das könne durch eine entsprechende Ergänzung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes erreicht werden. Der Leiter des Katholischen Büros Berlin, Karl Jüsten, erklärte, die Entscheidung der großen Koalition sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Lösung. (S.A.Dudajev--DTZ)