EU-Kommissar Hahn für Abbruch der Beitrittsgespräche mit der Türkei
EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn hat sich für den Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausgesprochen. Eine Mitgliedschaft des Landes in der Europäischen Union sei auf "absehbare Zeit" nicht realistisch, sagte der Österreicher der Zeitung "Die Welt" vom Dienstag. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), wies Hahns Vorstoß zurück.
Es sei eine Frage der "Fairness, für klare Verhältnisse zu sorgen", sagte Hahn. "Langfristig wäre es ehrlicher für die Türkei und die EU, neue Wege zu gehen und die Beitrittsgespräche zu beenden." Der österreichische Kommissar verwies auf skeptische Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Gespräche und "die Stimmung innerhalb der Bevölkerung in zahlreichen Mitgliedstaaten".
Der Kommissar plädierte dafür, "im beidseitigen Interesse eine neue, strategische Partnerschaft mit unserem Nachbarn Türkei anzustreben". Mögliche Kooperationsbereiche seien Energie, Migration, der Wiederaufbau Syriens und eine Ausweitung der Zollunion. Das Festhalten an den 2005 begonnenen Gesprächen habe den "Weg für eine realistische, strategische Partnerschaft versperrt", kritisierte der konservative Politiker.
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), kritisierte Hahns Vorstoß als "reine Scheindebatte". Bei den Beitrittsgesprächen bewege sich derzeit ohnehin nichts, sagte der SPD-Politiker dem "Tagesspiegel" vom Mittwoch. Allerdings sollten die Türen der EU "zumindest formal weiter offen stehen, sofern in Ankara konkrete Schritte zur Stärkung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Justiz und Minderheitenschutz vollzogen werden".
Zuvor hatte bereits der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, erklärt, im Fall seiner Wahl zum EU-Kommissionspräsidenten die Beitrittsgespräche zu beenden. Er wolle "eine enge Partnerschaft" zwischen der Türkei und Europa, "aber wir müssen klar machen, dass eine Vollmitgliedschaft der Türkei nicht funktionieren kann", sagte Weber der "Bild am Sonntag". Als Kommissionspräsident würde er für einen Abbruch der Gespräche eintreten.
Über ein Ende der Verhandlungen, die schon seit Jahren faktisch auf Eis liegen, entscheiden die EU-Mitgliedstaaten. Wegen der Inhaftierung zehntausender Regierungskritiker nach dem gescheiterten Militärputsch von Juli 2016 hatten die EU-Staaten beschlossen, keine neuen Kapitel mehr zu eröffnen. Im November 2017 kürzten sie die Finanzhilfen, die Ankara für die Vorbereitung auf die Mitgliedschaft erhält.
Zuspruch für die Forderung Hahns und Webers nach einem Ende der Gespräche kam von Alexander Graf Lambsdorff (FDP). "Der konsequente Abbau der Demokratie, des Rechtsstaats und der Menschen- und Bürgerrechte zeigt, dass die Türkei nicht länger an einem EU-Beitritt interessiert ist", erklärte Lambsdorff. "Anstatt an dem ohnehin gescheiterten Beitrittsprozess festzuhalten und die Verhandlungen ohne Aussicht auf eine Lösung dauerhaft einzufrieren, müssen die EU-Mitgliedsstaaten neue Formen der Zusammenarbeit ausloten."
Die EU hatte im Jahr 2005 offiziell Beitrittsgespräche mit der türkischen Regierung von Recep Tayyip Erdogan aufgenommen. Die Verhandlungen kamen jedoch bald ins Stocken, und auch der Reformwille in Ankara ließ über die Jahre nach. Erdogan hält zwar weiterhin an dem Beitrittsprozess fest, wirft jedoch den Europäern vor, sein Land seit Jahrzehnten warten zu lassen. Er hat bereits mehrfach ein Referendum über die Beitrittsfrage ins Spiel gebracht.
(I.Beryonev--DTZ)