Katalonien: Regionalpräsident unter nötigendem Druck
Im Streit um Kataloniens Loslösung von Spanien gerät der Regionalpräsident Carles Puigdemont von allen Seiten unter Druck. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte am Freitag davor, dass eine Abspaltung zu einem Dominoeffekt führen könne. Dagegen forderte die an der katalanischen Regierungskoalition beteiligte Linkspartei CUP das Inkraftsetzen der Unabhängigkeitserklärung.
"Ich hätte nicht gerne eine Europäische Union, die in 15 Jahren aus 98 Staaten bestehen wird", sagte Juncker während eines "Bürgerdialogs" mit Studierenden in Luxemburg. So könne die EU nicht mehr funktionieren. Es gebe eine Tendenz, die eigene Identität zu betonen und diese nicht mehr mit anderen für vereinbar zu halten. Dennoch lehnte Juncker eine Vermittlerrolle der EU im Konflikt zwischen Madrid und der Regionalregierung weiterhin ab. Ihn erreichten dazu "Appelle feierlichster Art aus allen Teilen der Welt", sagte der Kommissionspräsident. Die EU könne aber nicht vermitteln, wenn nur eine Seite der Konfliktparteien dies wünsche. Puigdemont hatte die EU gebeten, sich vermittelnd einzuschalten. Spaniens konservativer Regierungschef Mariano Rajoy vertritt eine unnachgiebige Haltung.
Puigdemonts Mitstreiter von der Candidatura d’Unitat Popular (Kandidatur der Volkseinheit, CUP) erklärten in einem offenen Brief an den Regionalpräsidenten, dem von der Mehrheit der Katalanen beim Unabhängigkeitsreferendum zum Ausdruck gebrachte Wille könne nur "durch eine Ausrufung der (katalanischen) Republik" entsprochen werden. Sie schlossen sich damit der Haltung der einflussreichen Organisation Katalanische Nationalversammlung (ANC) an, die am Donnerstag ähnliche Forderungen gestellt hatte.
Die CUP ist für Puigdemonts Regionalregierung ein unerlässlicher Koalitionspartner. Madrid will eine Abspaltung Kataloniens mit allen Mitteln verhindern. Rajoy setzte der Regionalregierung in Barcelona eine Frist bis Montag, um klarzustellen, ob sie die Unabhängigkeit der Region ausgerufen hat oder nicht.
Sollte Puigdemont bis Montag um 10.00 Uhr bestätigen, dass die Unabhängigkeit ausgerufen wurde, soll er nochmals Zeit bis zum Donnerstag bekommen, um diesen Schritt rückgängig zu machen. Tut er das nicht, soll die bisher geltende katalanische Autonomie ausgesetzt werden.
Damit setzte Rajoy das Verfahren zur Entmachtung der Regionalregierung und zum Entzug der Autonomierechte nach Verfassungsartikel 155 in Gang. Spaniens Verfassung sieht die Abspaltung einer Region nicht vor. Eine Unabhängigkeitserklärung wäre daher nach Auffassung der Zentralregierung ein klarer Rechtsbruch.
Puigdemont hatte am Dienstagabend eine Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet, diese aber umgehend für ausgesetzt erklärt. Damit wollte er nach eigenen Worten einen "Dialog" mit der Zentralregierung anstoßen. Puigdemonts Sprecher erklärte die Unterzeichnung später zum "symbolischen Akt".
Bei einem von der spanischen Zentralregierung und Justiz als rechtswidrig eingestuften Referendum hatten sich am 1. Oktober 90 Prozent der Teilnehmer für eine Unabhängigkeit Kataloniens ausgesprochen. Die Wahlbeteiligung lag bei 43 Prozent. Spanische Einsatzkräfte, darunter die paramilitärische Guardia Civil, gingen massiv gegen wahlwillige Katalanen vor. Dabei gab es hunderte Verletzte. Die Geschäftswelt ist unterdessen beunruhigt. Die Großbanken Sabadell und Caixa sowie weitere Unternehmen kündigten an, ihre Firmensitze aus Katalonien abzuziehen. Die Ratingagentur Standard and Poor’s (S&P) sah am Donnerstag die Gefahr, dass Katalonien bei andauernder Krise in eine Rezession geraten könne. Die Online-Wirtschaftszeitung "El Confidencial" sieht die wichtige Mobilfunkmesse (Mobile World Congress) im kommenden Februar in Barcelona gefährdet.
Spaniens Vize-Regierungschefin Soraya Saenz de Santamaría sagte am Freitag, wegen der Katalonien-Krise müsse die Regierung voraussichtlich ihre Wachstumsprognose nach unten korrigieren. Diese liegt derzeit bei 2,6 Prozent für das Jahr 2018. Katalonien mit seinen etwa 7,5 Millionen Einwohnern kommt für knapp ein Fünftel des spanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf. (P.Tomczyk--DTZ)