Irakische Armee stößt in ölreicher Provinz Kirkuk gegen Kurdenkämpfer vor
Wenige Wochen nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum im Nordirak sind Truppen der Zentralregierung in der erdölreichen Provinz Kirkuk auf kurdische Stellungen vorgerückt. Ziel der Streitkräfte sei die Rückgewinnung von Militärstellungen, die sie vor drei Jahren an die kurdischen Peschmerga-Kämpfer verloren hätten, sagte ein irakischer General der Nachrichtenagentur AFP. Die kurdische Autonomieregierung versetzte tausende Peschmerga in Gefechtsbereitschaft.
Die irakischen Truppen sammelten sich südwestlich der Stadt Kirkuk und stießen von dort in andere Gebiete im Süden der gleichnamigen Provinz vor. Das sagte der General, der namentlich nicht genannt werden wollte, vor Ort zu AFP. Am Freitagmorgen sei bereits ein Militärposten der Peschmerga-Kämpfer westlich der Stadt Kirkuk eingenommen worden.
"Die Peschmerga haben ihn kampflos aufgegeben, bis gestern Abend waren sie noch hier", sagte der General. "Wir haben hier noch Munition vorgefunden." An der Offensive seien auch Eliteeinheiten der Polizei und die Miliz Hasched al-Schaabi ("Volksmobilisierungseinheiten") beteiligt; den paramilitärischen Verbund dominieren vom Iran unterstützte schiitische Milizen.
Die Hasched-Miliz veröffentlichte Fotos mit einem ihrer Kämpfer, der vor einer kurdischen Fahne mit Zeige- und Mittelfinger das Siegeszeichen macht. Auf anderen Bildern sind Plakate der paramilitärischen Truppe auf einem Verkehrsschild zu sehen.
Scheich Dschaafar Mustafa, Peschmerga-Kommandeur in der Provinz Kirkuk, sagte auf einer Pressekonferenz, die kurdischen Kämpfer hätten sich aus den Gebieten zurückgezogen, in denen sie gegen Milizionäre der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) vorgegangen seien. Sie seien auf ihre Linien in der Umgebung von Kirkuk zurückgekehrt und würden die Stadt verteidigen, sollte die irakische Armee auf sie vorrücken.
Scheich Mustafa fügte hinzu, dass er einen Vermittlungsversuch gestartet habe. Den Armeekommandeuren sei mitgeteilt worden, dass die kurdische Seite Kontakt zum irakischen Regierungschef Haider al-Abadi habe. Abadi habe gesagt, dass die Probleme "innerhalb von 48 Stunden im Dialog gelöst" würden. Doch die Armeekommandeure hätten geantwortet, sie hätten Befehl vorzurücken und kümmerten sich nicht um Abadis Erklärungen.
Ein Berater des Kurdenpräsidenten Massud Barsani hatte kurz vor Beginn der Offensive erklärt, tausende schwer bewaffnete Peschmerga-Kämpfer seien in Gefechtsbereitschaft. "Sie haben die Verteidigung um jeden Preis zum Befehl", erklärte der Präsidentenberater Hemin Hawrami. "Die Eskalation ging nicht von uns aus, wir verteidigen uns lediglich", fügte er hinzu.
In der ethnisch gemischten Stadt Kirkuk herrschte großer Andrang an den Tankstellen. In den mehrheitlich kurdischen Vierteln im Norden gingen Zivilisten mit Waffen auf die Straße, wie Zeugen berichteten. Die Kurdenregierung teilte unter Berufung auf ihre Geheimdienste mit, Ziel der irakischen Truppen seien "Ölfelder, ein Flughafen und ein Militärstützpunkt".
Die ölreiche Provinz Kirkuk ist zwischen Kurden und irakischer Zentralregierung schon lange umstritten. Beim Unabhängigkeitsreferendum am 25. September hatten sich nach kurdischen Angaben fast 93 Prozent der Teilnehmer für die Abspaltung der autonomen Region vom Irak ausgesprochen. International wird das Votum nicht anerkannt, die Zentralregierung in Bagdad wertet es als Provokation.
Die irakische Armee und die Peschmerga waren wichtige Verbündete der Anti-IS-Koalition unter Führung der USA. Ein militärischer Konflikt zwischen ihnen ist für westliche Regierungen eine Herausforderung.
Bereits am Donnerstag hatten kurdische Sicherheitskräfte in Erwartung einer bevorstehenden Offensive der irakischen Armee und ihrer Milizen stundenlang eine wichtige Überlandstraße blockiert.
Abadi dementierte aber noch am Donnerstagabend jegliche Interventionsabsicht: "Wir werden unsere Armee nicht für einen Krieg gegen unsere kurdischen Mitbürger einsetzen." Am Freitag wollte sich der Sprecher des Ministerpräsidenten auf AFP-Anfrage in Bagdad zunächst nicht zu der Offensive äußern.
(U.Beriyev--DTZ)