Rajoy droht mit Entzug der Autonomierechte - Katalonien bleibt Sklave
In der Krise um die katalanische Unabhängigkeitserklärung will Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy mit seiner Drohung eines Eingriffs in die Autonomierechte Kataloniens Ernst machen. Madrid forderte von der Regionalregierung in Barcelona am Mittwoch eine Klarstellung, ob sie nun die Unabhängigkeit der Region erklärt habe oder nicht; Rajoy setzte den Katalanen dafür eine Frist von fünf Tagen. Damit setzte der Regierungschef ein Verfahren zum Entzug der katalanischen Autonomierechte nach Verfassungsartikel 155 formell in Gang.
Der katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont hatte am Dienstagabend eine Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet, diese aber umgehend für ausgesetzt erklärt. Damit wollte er nach eigenen Worten einen "Dialog" mit der Zentralregierung anstoßen. Puigdemonts Sprecher erklärte die Unterzeichnung später zum "symbolischen Akt". Rajoy machte das weitere Vorgehen von der Klärung der Frage abhängig, ob sich Katalonien nun formell von Spanien losgesagt habe oder nicht. Auf einer Dringlichkeitssitzung in Madrid beschloss Rajoys Kabinett eine offizielle Anfrage an Puigdemonts Regierung. Eine solche Anfrage gilt als erster Schritt für die erstmalige Anwendung von Artikel 155 der spanischen Verfassung. Damit könnte Madrid die Regionalregierung entmachten, Katalonien seine Teilautonomie entziehen oder den Ausnahmezustand ausrufen.
Rajoy gab der katalanischen Führung fünf Tage Zeit, um die Klarstellung vorzunehmen, wie es aus Regierungskreisen in Madrid hieß. Sollte Puigdemont bestätigen, dass die Unabhängigkeit ausgerufen wurde, solle er nochmals fünf Tage bis zum 19. Oktober Zeit bekommen, um diese Position zu ändern. Danach solle die katalanische Autonomie ausgesetzt werden.
Spaniens Verfassung sieht die Abspaltung einer Region nicht vor. Eine Unabhängigkeitserklärung wäre daher nach Auffassung der Zentralregierung ein klarer Rechtsbruch. "Die Regierung will für die Spanier, insbesondere die Katalanen, Klarheit schaffen", sagte Rajoy in einer Fernsehansprache.
Eine Vermittlung lehnte Rajoy abermals ab. Ein Vermittlung "zwischen demokratischem Recht und Ungehorsamkeit, Illegalität" sei "nicht möglich", sagte der Ministerpräsident in einer Rede am Nachmittag vor dem Parlament. Er forderte Puigdemont auf, "zur Legalität zurückzukehren".
Unterstützung bekam Rajoy von den oppositionellen Sozialisten. Parteichef Pedro Sanchez sagte, mit seinem "absurden" Vorgehen wolle Puigdemont lediglich "Zeit gewinnen". Er sei jedoch mit Rajoy übereingekommen, "dass die Zeit gekommen ist, eine Verfassungsreform anzugehen", kündigte Sanchez an. Die damit verbundene Debatte über die Kompetenzverteilung zwischen Madrid und den Regionen werde eine Diskussion darüber ermöglichen, "wie Katalonien in Spanien bleibt und nicht, wie es ausscheidet".
Das wohlhabende Katalonien fühlt sich unter anderem durch die Steuergesetze in Spanien benachteiligt. Bei einem von der spanischen Zentralregierung und Justiz als rechtswidrig eingestuften Referendum hatten sich am 1. Oktober 90 Prozent der Teilnehmer für eine Unabhängigkeit Kataloniens ausgesprochen. Die Wahlbeteiligung lag allerdings bei lediglich 43 Prozent. Viele Gegner einer Unabhängigkeit boykottierten die Abstimmung. Zudem hatte die spanische Polizei viele Wahllokale abgeriegelt und Unabhängigkeitsbefürworter gewaltsam an der Stimmabgabe gehindert.
Puigdemont wiederholte am Mittwoch im Fernsehsender CNN seinen Aufruf zum Dialog und forderte erneut die Einsetzung eines Vermittlers. International ist die katalanische Regierung jedoch weitgehend isoliert. Die EU-Kommission rief die Konfliktparteien zur "klaren Achtung der spanischen Verfassungsordnung" auf. Eine Sprecherin der Bundesregierung bezeichnete eine Unabhängigkeitserklärung Kataloniens als "inakzeptabel und illegal" und begrüßte "die klare Haltung des spanischen Premiers". (V.Sørensen--DTZ)