Deutsche Journalistin Tolu weist zu Prozessbeginn in Türkei Terrorvorwürfe zurück
Die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu hat zum Auftakt ihres Prozesses in der Türkei die gegen sie erhobenen Terrorismus-Vorwürfe zurückgewiesen. Sie erkenne die Klagepunkte der Staatsanwaltschaft nicht an, sagte die 33-jährige Neu-Ulmerin nach Angaben ihrer Verteidiger am Mittwoch vor dem Gericht im Gefängnis Silivri bei Istanbul. Dort muss sich Tolu wegen "Mitgliedschaft in einer Terrororganisation" und "Terrorpropaganda" verantworten. Die Bundesregierung forderte ein faires und zügiges Verfahren.
Die Richter wollten am Abend über einen Antrag der Verteidigung auf Haftentlassung von Tolu und ihren 17 Mitangeklagten entscheiden, wie die Vize-Vorsitzende der Linken-Fraktion im Bundestag, Heike Hänsel, der Nachrichtenagentur AFP sagte. Laut Hänsel, die den Prozess noch bis Donnerstag beobachtet, begründeten die Verteidiger ihren Vorstoß mit der "dürftigen Beweislage". Bei einer Verurteilung drohen Tolu 15 Jahre Haft.
Die Angeklagte deutete in der Gerichtsanhörung an, dass sie politische Motive hinter dem Verfahren vermutet. Tolu hatte in der Türkei für die linksgerichtete Nachrichtenagentur ETHA gearbeitet. "Ich bin wegen meiner Übersetzungen für die ETHA ins Visier der Polizei geraten", sagte sie laut Verteidigung in dem Verfahren. Ihr Vater Ali Riza sagte laut ETHA vor dem Gericht: "Alle Anschuldigungen sind erlogen und substanzlos."
Tolu war Ende April festgenommen worden und sitzt seitdem mit ihrem zweijährigen Sohn im Istanbuler Frauengefängnis Bakirköy hinter Gittern.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihr Mitgliedschaft in der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) vor. Sie habe an Demonstrationen der verbotenen Gruppe teilgenommen und Begräbnisse von MLKP-Aktivisten besucht.
Die Bundesregierung hat sich bisher vergeblich für ihre Freilassung eingesetzt. Zum Prozessbeginn mahnte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) ein "faires und rechtsstaatliches Verfahren" an. Vor allem müsse es "schnell gehen, damit Mesale Tolu möglichst bald frei kommt", sagte Gabriel der "Bild"-Zeitung vom Donnerstag.
Das FDP-Präsidiumsmitglied Alexander Graf Lambsdorff erklärte, ein faires und transparentes Verfahren müsse "zu einem Freispruch und zur sofortigen Freilassung der Journalistin führen".
Linken-Fraktionsvize Hänsel erklärte, Tolu und andere "willkürlich Verhaftete" seien "nichts anderes als Geiseln" des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan. Sie würden als "Faustpfand für politische Forderungen" festgehalten. Deshalb sei kein rechtsstaatliches Verfahren zu erwarten. Die Bundesregierung sei aufgefordert, "endlich politische Konsequenzen zu ziehen, Rüstungsexporte und Beitrittsverhandlungen zu stoppen und sich für die sofortige Freilassung der Deutschen einzusetzen".
Nach Angaben des Auswärtigen Amts beobachtet eine Mitarbeiterin des deutschen Generalkonsulats in Istanbul Tolus Prozess. Deutsche Diplomaten stünden "auf allen Ebenen in ständigem Kontakt mit den Anwälten und natürlich mit der türkischen Regierung, um Verbesserungen zu erreichen", sagte eine Sprecherin in Berlin. Am Montag habe ein Mitarbeiter die Inhaftierte zuletzt besucht.
Die türkische Regierung geht unter dem Ausnahmezustand, der nach dem gescheiterten Militärputsch im Juli 2016 verhängt wurde, verstärkt gegen kritische Journalisten vor. Mehr als 150 Journalisten sind inhaftiert. Fast 150 Medien wurden geschlossen, darunter viele kurdische und linke Medien.
Schon seit Mitte Februar sitzt der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel in der Türkei in Haft. Anfang Juli wurde der deutsche Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner während eines Seminars festgenommen - zusammen mit zehn weiteren Menschenrechtlern, darunter die Direktorin von Amnesty International in der Türkei, Idil Eser.
Zuletzt wurde in der Türkei eine Reporterin des "Wall Street Journal" wegen "Terrorpropaganda" in Abwesenheit zu einer Haftstrafe verurteilt. Das Gericht habe gegen Ayla Albayrak eine 25-monatige Gefängnisstrafe verhängt, erklärte die US-Zeitung am Dienstag. Die türkisch-finnische Reporterin hält sich demnach zur Zeit in New York auf.
(M.Dylatov--DTZ)