Mehr als 140 türkische Soldaten wegen Schüssen auf Bosporus-Brücke vor Gericht
Mehr als ein Jahr nach dem gescheiterten Umsturzversuch in der Türkei hat ein Prozess zu einer der dramatischsten Episoden der Putschnacht begonnen. Fast 150 angeklagte Ex-Soldaten erschienen am Montag vor einem Gericht in Silivri bei Istanbul unter dem Vorwurf, auf einer Bosporus-Brücke dutzende Zivilisten erschossen zu haben, die sich den Putschisten entgegengestellt hatten. Ihnen drohen lebenslange Haftstrafen.
Insgesamt sind 143 frühere Soldaten angeklagt, darunter 30 Offiziere. Bis auf acht sind alle Angeklagten in Haft. Angehörige der Opfer, aber auch Politiker nahmen an dem Prozess westlich von Istanbul teil. "Wir sind heute hier, um die Rechnung mit denen zu begleichen, die unser Land zu besetzen versucht haben", sagte der Sprecher der Regierungspartei AKP, Mahir Unal.
Die abtrünnigen Soldaten hatten am Abend des 15. Juli eine Bosporus-Brücke in Istanbul mit Panzern besetzt, um den Verkehr von der asiatischen Seite der Metropole zum europäischen Teil zu blockieren. Nach einem Aufruf von Präsident Recep Tayyip Erdogan, sich den Putschisten auf den Straßen zu widersetzen, versammelten sich tausende Menschen auf der Brücke.
In der folgenden Auseinandersetzung eröffneten Putschisten das Feuer, 34 Zivilisten wurden getötet. Auch sieben Soldaten starben. Unter den zivilen Opfern waren der langjährige AKP-Wahlkampfdirektor Erol Olcok und dessen 16-jähriger Sohn Abdullah Tayyip. Am frühen Morgen ergaben sich die Putschisten auf der Brücke der Polizei und legten ihre Waffen nieder.
Einige der beteiligten Soldaten gaben später an, nicht gewusst zu haben, dass sie an einem Putschversuch teilnahmen. Der Vater eines der Angeklagten, Veysel Kilic, sagte, sein Sohn sei "getäuscht" worden. Er sei als Kadett einer Luftwaffenakademie angewiesen worden, an einer "unangekündigten Übung" teilzunehmen. Die Kadetten seien "völlig ahnungslos" gewesen.
Die 24-jährige Fatmanur Göksü erzählte vor dem Gerichtsgebäude, wie eine Kugel auf der Brücke ihren Arm durchschlagen und auch ihren Vater verwundet habe. Sie habe keinen Moment gezögert, sich den Putschisten entgegenzustellen, als Erdogan die Bevölkerung dazu aufgerufen habe, sagte sie. Vor dem Gericht versammelten sich auch mehrere Hinterbliebene der Opfer, die T-Shirts mit den Bildern ihrer toten Angehörigen und dem Wort "Märtyrer" trugen.
Insgesamt töteten die Putschisten bei dem Umsturzversuch 249 Menschen, mehr als 2000 wurden verletzt. Die Regierung macht die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Der langjährige Verbündete Erdogans hatte sich 2013 mit ihm überworfen, bestreitet aber jede Verwicklung in den Umsturzversuch.
Seit dem Putschversuch hat die Regierung rund 50.000 mutmaßliche Gülen-Anhänger festgenommen und 140.000 aus dem Staatsdienst entlassen. Die Regierung wirft der sektenartigen Bewegung vor, den Staat unterwandert zu haben. Ihre Kritiker beschuldigen sie dagegen, selbst über Jahre Anhänger Gülens in Polizei, Militär, Justiz und Verwaltung geholt zu haben.
Der Prozess in Istanbul ist einer von mehreren Verfahren gegen mutmaßliche Putschbeteiligte. Erst am Mittwoch wurden in Mugla 40 Angeklagte wegen eines Versuchs zur Ermordung Erdogans zu lebenslanger Haft verurteilt. In den meisten Verfahren steht das Urteil aber noch aus.
(W.Novokshonov--DTZ)