Hungerstreikender Akademiker in der Türkei weist Anklage als "politisch" zurück
Im Prozess gegen zwei hungerstreikende Akademiker in Ankara hat einer der Angeklagten am Donnerstag die Vorwürfe als "politisch" motiviert zurückgewiesen und seinen Job zurückgefordert. "Wir haben einen Hungerstreik begonnen, um unsere Arbeit zurückzuerhalten. Das ist alles", sagte Semih Özakca, der seit März mit Nuriye Gülmen im Hungerstreik ist. In der Türkei sind sie zum Symbol des Protests gegen die Massenentlassungen nach dem Putschversuch von Juli 2016 geworden.
"Ich will meine Arbeit, ich will meine Schüler", sagte der Lehrer, der vergangenes Jahr per Notstandsdekret entlassen worden war. Özakca, der deutlich abgemagert und mit einem langen Bart vor Gericht erschien, bezeichnete den Prozess als "politisch" und warf der Justiz vor, mit ihrer Inhaftierung die anderen Entlassenen "einschüchtern" zu wollen.
Özakca kritisierte zudem die "gewaltsame" Verlegung von Gülmen auf die Intensivstation des Gefängnisses von Sincan. Özakcas Frau Esra hatte bereits zuvor gesagt, dass sie davon ausgehe, dass Gülmen an der Teilnahme am Prozess gehindert werden sollte, da die Verlegung in der Nacht zu Dienstag nicht durch ihren Gesundheitszustand gerechtfertigt sei.
Gülmens Schwester Beyza Gülmen, die ebenfalls an der Anhörung teilnahm, sagte allerdings, dass der Zustand ihrer Schwester "ernst" sei. Özakca hatte bei der Anhörung die Gelegenheit, einige Blicke mit seiner Ehefrau Esra auszutauschen, die ebenfalls ihren Job verloren hat. Seit der Inhaftierung ihres Mannes ist sie ebenfalls im Hungerstreik.
Gülmen und Özakca gehören zu den mehr als 140.000 Staatsangestellten, die seit dem gescheiterten Militärputsch von Juli 2016 entlassen oder suspendiert wurden. Wie die meisten Betroffenen wurden sie per Notstandsdekret ohne Angabe genauer Gründe ihrer Posten enthoben. Aus Protest begannen sie am 9. März auf einem Platz in Ankara einen Hungerstreik.
Gülmen und Özakca wurden dutzende Male von der Polizei in Gewahrsam genommen, bevor die Justiz sie am 22. Mai in U-Haft nahm. Die Justiz wirft ihnen Mitgliedschaft in der DHKP-C vor, einer linksextremen Gruppierung, die sporadisch Anschläge verübt. Gülmen und Özakca weisen die Vorwürfe zurück und werfen der Justiz vor, sie zum Schweigen bringen zu wollen.
Laut ihren Angehörigen haben Gülmen und Özakca seit Beginn des Hungerstreiks im März 18 und 33 Kilogramm verloren. Demnach nehmen sie nur gezuckertes und gesalzenes Wasser, Kräutertee und Vitamin B1 zu sich. Ihr Protest hat zu einer breiten Solidarisierung linker Gruppen geführt, doch drängen sie viele Unterstützer, nicht ihr Leben aufs Spiel zu setzen und ihren Hungerstreik abzubrechen.
(U.Beriyev--DTZ)