Nordirak: Überwältigende Mehrheit für Unabhängigkeit der Kurden
Überwältigende Zustimmung der Kurden im Nordirak für die Unabhängigkeit: Bei dem umstrittenen Referendum haben fast 93 Prozent der Teilnehmer für eine Abspaltung vom Irak gestimmt, wie die kurdische Wahlkommission am Mittwoch mitteilte. Kurdenführer Massud Barsani hatte Bagdad zuvor zu einem Dialog auf der Grundlage des Votums aufgerufen, doch forderte der irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi zuerst eine Annullierung des Referendums.
Laut der Wahlkommission stimmten am Montag 3.305.925 Wähler für die Unabhängigkeit. Nur 7,27 Prozent der Teilnehmer votierten dagegen. Die Kommission hatte bereits zuvor die Wahlbeteiligung mit 72 Prozent angegeben, in den Hochburgen von Barsanis Rivalen von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) erreichte sie allerdings nur 50 Prozent.
Mit dem Volksentscheid hatte sich Barsani über die Vorbehalte der Zentralregierung in Bagdad sowie die Warnungen der Nachbarländer Iran und Türkei hinweggesetzt, die einen unabhängigen Kurdenstaat strikt ablehnen. Es war mit einer großen Mehrheit gerechnet worden, doch die Konsequenzen der Abstimmung sind ungewiss. Barsani zeigte sich nach dem Referendum verhandlungsbereit. In einer Fernsehansprache forderte er Ministerpräsident al-Abadi am Dienstagabend auf, "die Tür zum Dialog nicht zuzuschlagen, da die Probleme durch Dialog gelöst werden können". Mit dem Referendum habe er nicht "die Grenzen (der Kurdenregion) bestimmen" wollen, versicherte Barsani.
Al-Abadi schloss bei einem Auftritt vor dem Parlament in Bagdad aber Gespräche auf der Grundlage des Referendums kategorisch aus und forderte die Annullierung des Volksentscheids. "Das Referendum muss annulliert und ein Dialog auf Grundlage der Verfassung eröffnet werden", sagte al-Abadi am Mittwoch vor den Abgeordneten.
Das irakische Parlament rief al-Abadi in einer Resolution auf, "alle notwendigen Maßnahmen zur Bewahrung der Einheit des Irak und zum Schutz seiner Bürger" zu ergreifen. Zudem forderte es erneut, Truppen in die zwischen Bagdad und den Kurden umstrittenen Gebiete zu schicken. Dazu gehört insbesondere die ölreiche Provinz Kirkuk.
Barsani hatte bereits vor dem Volksentscheid gesagt, dass er im Fall einer Mehrheit für die Abspaltung nicht direkt die Unabhängigkeit erklären werde. Es wurde vermutet, dass er mit dem Referendum vor allem seine Verhandlungsposition gegenüber Bagdad stärken wolle. Allerdings droht nun ein offener Konflikt mit Bagdad.
Al-Abadi forderte von der kurdischen Regionalregierung, dass sie die Kontrolle über die beiden Flughäfen in Erbil und Suleimanija an Bagdad übergibt. Andernfalls werde seine Regierung alle internationalen Flüge in die kurdische Autonomieregion am Freitag einstellen. Mehrere Airlines kündigten daraufhin an, ihre Flüge in die Region zu stoppen. Nach Libanons Middle East Airlines und EgyptAir erklärten auch die türkischen Fluglinien Turkish Airlines, Pegasus und Atlas Global, ab Freitag Erbil und Suleimanija nicht länger anzufliegen, wie das türkische Konsulat in Erbil mitteilte. Am Dienstag hatte die türkische Regierung den irakischen Kurden bereits mit einer Öl- und Handelsblockade gedroht.
Die Autonomieregion ist zum Export ihres Erdöls auf eine Pipeline durch die Türkei angewiesen. Auch ein Großteil des Handels läuft über das Nachbarland. Eine Schließung der Grenzen würde die irakischen Kurden in große Bedrängnis bringen, hätte aber auch hohe Kosten für die Türkei. (I.Beryonev--DTZ)