Schwere Vorwürfe in Prozess gegen mutmaßlichen IS-Chefanwerber in Deutschland
Schwere Vorwürfe gegen den angeblichen IS-Chefanwerber in Deutschland, harte Gegenwehr der Verteidigung: Vor dem Celler Oberlandesgericht (OLG) hat am Dienstag der Prozess gegen den den 33-jährigen mutmaßlichen führenden Islamisten Ahmad Abdulaziz Abdullah A. begonnen. Während die Bundesanwaltschaft den als Abu Walaa bekannten Prediger als "Kopf eines Netzwerks" zur Rekrutierung von Dschihadisten bezeichnete, sprach die Verteidigung von haltlosen Vorwürfen.
Gemeinsam mit A. müssen sich in dem Staatsschutzverfahren vier weitere Beschuldigte im Alter von 27 bis 51 Jahren verantworten. Sie sollen zur Organisation des Irakers gehört haben, der sich seit 2003 in Deutschland aufhält und nach Einschätzung deutscher Sicherheitsbehörden ein führender Vertreter der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) in der Bundesrepublik war. Konkret geht es um die Rolle der Männer bei der Radikalisierung sowie Anwerbung von IS-Freiwilligen 2014 und 2015.
Angeklagt ist A. wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, die anderen wegen deren Unterstützung. Als "Deutschland-Repräsentant" des IS habe A. eine "enorme Ausstrahlung" auf junge Islamisten aus dem In- und Ausland ausgeübt, sagte der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Holger Schneider-Glockzin, bei der Verlesung der Anklage in dem von bewaffneten Polizisten mit Maschinenpistolen gesicherten OLG in der niedersächsischen Stadt.
Der Angeklagte habe die Aufgabe gehabt, als Imam des im Februar verbotenen Deutschen Islamkreises (DIK) in Hildesheim radikalislamisches Gedankengut zu verbreiten, über die Ausreise junger Freiwilliger in die IS-Gebiete zu entscheiden und diese zu organisieren. Auch habe er "enge Kontakte" zur IS-Führungsspitze gehabt und sich zudem selbst mehrmals im Irak aufgehalten.
A.s Verteidigung sprach vor Gericht von Vorwürfen, die in großen Teilen auf den Angaben eines nicht vertrauenswürdigen Kronzeugen basierten. Dieser habe "eine phantastische Geschichte" eines Islamistennetzwerks um den Angeklagten erzählt, das die Ausreisen zum IS organisiere, sagte Anwalt Peter Krieger. Zuvor mit großem Aufwand über Jahre hinweg geführte Ermittlungen gegen A. und den DIK hätten dagegen nichts Strafbares ergeben. A selbst, der mit einem langem Kinn- und Backenbart vor Gericht erschien, verfolgte den Prozess aufmerksam, teils mit einem Lächeln.
Den Ermittlern zufolge wirkte A. in diversen einschlägigen Anlaufpunkten der Salafistenszene im gesamten Bundesgebiet, wo er in seinen sogenannten Islamseminaren für den IS geworben haben soll. Demnach gab es etwa Verbindungen zu der Moschee des inzwischen verbotenen Berliner Vereins Fussilet 33. Dort soll auch der Tunesier Anis Amri verkehrt haben, der im Dezember bei einem Anschlag mit einem Lastwagen in Berlin zwölf Menschen tötete. Auch zwei der Jugendlichen, die 2016 ein Attentat auf einen Essener Sikh-Tempel verübten, besuchten demnach seine Seminare.
Krieger stellte den Antrag, das Verfahren auszusetzen, bis die Verteidigung alle Ermittlungsakten zu dem Kronzeugen einsehen konnte. Der Mann names Anil O. hatte sich früher selbst dem IS in Syrien angeschlossen, von diesem aber losgesagt und sich den Behörden als Kronzeuge angeboten.
Das OLG Düsseldorf habe ihn deswegen inzwischen zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt, sagte Krieger. Das sei ein Indiz für Absprachen zwischen diesem und den Behörden. "Der Kronzeuge ist ein Hochstapler - er bezichtigt bedenkenlos andere Menschen schwerster Straftaten, wenn er sich davon einen Vorteil verspricht." Ohne diesen aber "bricht die Anklage zusammen".
Nach Angaben der Bundesanwaltschaft stützen sich die Vorwürfe aber unter anderem auch auf die Informationen eines V-Manns des Verfassungsschutzes, der auf das Hildesheimer DIK angesetzt war und "in engem Kontakt" zu dem Prediger stand. Die Identität des Manns wird geheimgehalten. Laut Anklagebehörde rief A. vor seiner Festnahme im November dazu auf, den V-Mann als Verräter zu töten.
(P.Tomczyk--DTZ)