Historisches Unabhängigkeitsreferendum der Kurden im Nordirak
Historische Abstimmung im Nordirak: Trotz heftigen Widerstands der Zentralregierung und der Nachbarstaaten haben die Kurden am Montag in einem Referendum über ihre Unabhängigkeit abgestimmt. Das irakische Parlament forderte die Regierung auf, Truppen in die zwischen Bagdad und den Kurden umstrittenen Gebiete zu senden. Die Türkei kündigte die Schließung ihrer Grenzen an und drohte damit, die kurdischen Ölexporte zu unterbinden.
Vor den Wahllokalen in der Kurdenregion bildeten sich am Morgen lange Schlangen von Wählern in traditioneller Kleidung. "Wir werden unsere Unabhängigkeit durch die Urnen erhalten, und ich bin sehr glücklich, der erste Wähler zu sein", sagte der 40-jährige Dijar Omar in Suleimanija, der zweitgrößten Stadt der Kurdenregion. Insgesamt waren 5,3 Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen.
Der Kurdenführer Massud Barsani hatte die Abstimmung im Juni angesetzt und trotz massiven Widerstands der Zentralregierung in Bagdad sowie der Türkei und des Iran daran festgehalten. Iraks Ministerpräsident Haider al-Abadi warnte am Sonntag, er werde alle "nötigen Maßnahmen" zum Schutz der nationalen Einheit ergreifen. Das Referendum sei "verfassungswidrig und gegen den gesellschaftlichen Frieden".
Am Montag forderte das irakische Parlament in einer Resolution al-Abadi auf, Truppen in die Gebiete zu entsenden, welche die Kurden seit 2003 unter ihre Kontrolle gebracht haben. Dabei geht es um Gebiete wie die ölreiche Provinz Kirkuk, die außerhalb der Grenzen der kurdischen Autonomieregion liegen, aber in den vergangenen Jahren von den kurdischen Peschmerga-Einheiten besetzt wurden.
Die Entsendung irakischer Truppen in die Gebiete würde einer Kriegserklärung an die Kurden gleichkommen. Bereits im Vorfeld des Volksentscheids war gewarnt worden, dass das Votum über die Abspaltung der Kurden einen Bürgerkrieg auslösen könnte. Zudem drohten die Nachbarn Iran und Türkei mit "Gegenmaßnahmen", sollte Kurdenführer Barsani nicht seine Referendumspläne aufgeben. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte am Montag an, noch diese Woche die Grenze zur Kurdenregion zu schließen. Auch drohte er, den Hahn für die Ölexporte zuzudrehen. Zum Export ihres Öls sind die Kurden auf eine Pipeline durch die Türkei angewiesen. Al-Abadi hatte die Nachbarn am Sonntag aufgefordert, alle Ölexporte aus der Kurdenregion zu stoppen.
Erdogan warnte die Kurden im Nordirak zudem vor einer militärischen Intervention wie gegen die Kurden in Nordsyrien. Es seien "alle Optionen auf dem Tisch", und die türkische Armee könne "unerwartet in der Nacht" kommen. Die iranischen Streitkräfte und die türkische Armee hatten in den vergangenen Tagen an der Grenze zum Irak Militärmanöver abgehalten, die als Warnung an die Kurden gesehen wurden.
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu warnte die Kurden vor Übergriffen auf die Turkmenen in der umstrittenen Provinz Kirkuk. "Es ist unsere natürliche Pflicht, die Rechte der Turkmenen zu schützen", sagte Cavusoglu. Das Parlament in Ankara hatte erst am Samstag ein Mandat zum Einsatz türkischer Truppen in Nordsyrien und dem Nordirak verlängert.
Der Iran teilte am Montag mit, er habe auf Bitten der Regierung in Bagdad die Luft- und Landgrenze zur Kurdenregion geschlossen. Später präzisierte die Regierung allerdings, dass sie nur die Flüge in die Kurdenregion ausgesetzt habe, die Landgrenze aber weiter offen sei. In einem Telefonat sicherte Irans Präsident Hassan Ruhani dem irakischen Regierungschef seine Unterstützung zu.
Der syrische Außenminister Walid al-Muallim verurteilte das Referendum der Kurden als "inakzeptablen" Angriff auf die Einheit des Iraks. Ebenso wie die Türkei und der Iran fürchtet die Regierung in Damaskus, dass eine Abspaltung der Kurden im Nordirak ihre eigene kurdische Minderheit in ihrem Streben nach Unabhängigkeit bestärkt. (W.Novokshonov--DTZ)