Gabriel: Wirtschaftlicher Druck auf Türkei hat Wirkung
Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sieht erste Erfolge der schärferen Türkei-Politik der Bundesregierung. "Wirtschaftlicher Druck wirkt", sagte Gabriel in einem aktuellen Interview. Nachdem die Reisehinweise verschärft und deutsche Unternehmen vor Investitionen gewarnt wurden, habe Präsident Recep Tayyip Erdogan eine vermeintliche Terror-Liste mit 680 deutschen Unternehmen wie Daimler und BASF zurückgezogen. Der Deutsche Journalisten-Verband warf Gabriel vor, sich nicht in gleichem Maß für die in der Türkei inhaftierten Journalisten einzusetzen.
"Es gab eine breite Debatte in der türkischen Gesellschaft. Und Erdogan hat die Unternehmensliste zu einem einzigen Missverständnis erklärt", sagte Gabriel. Er fügte hinzu: "Für Erdogan ist in der Türkei ja inzwischen jeder ein Terrorist, der nicht seine Meinung hat."
Zugleich räumte Gabriel ein, dass die verschärften Reisehinweise nicht unproblematisch seien: "Schon jetzt treffen unsere Reisehinweise natürlich eigentlich die Falschen: die kleinen Hotelbesitzer, die Restaurant-Betreiber und die Kellner in der Westtürkei, die nach Europa und nach Deutschland hin orientiert sind."
Trotzdem gelte: "Wir müssen unsere Bürger schützen. Wir können nicht zulassen, dass der türkische Präsident Erdogan deutsche Staatsbürger einfach so in Haft nehmen lässt." Strikte Reisewarnungen würden verhängt, "wenn nach unserer Einschätzung die Gefahren und Risiken einer Reise in das Land überhaupt nicht mehr kalkulierbar sind", sagte Gabriel.
Die deutsch-türkischen Beziehungen sind stark angespannt. Die Inhaftierung deutscher Staatsbürger, darunter der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel und der Menschenrechtler Peter Steudtner, stieß auch international auf scharfe Kritik. Gabriel hatte deshalb vor vier Wochen eine "Neuausrichtung" der deutschen Türkei-Politik sowie die Überprüfung staatlicher Export- und Investitionsgarantien angekündigt. Zudem verschärfte das Auswärtige Amt seine Reisehinweise.
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) nannte Gabriels Türkei-Politik "verfehlt". Mit Blick auf dessen Äußerungen zu den deutschen Unternehmen fragte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall: "Und was ist mit den unschuldig einsitzenden Journalisten? Wann wird das Unrecht, das ihnen widerfährt, fallen gelassen?"
Es sei "bittere Ironie", dass sich Gabriel für seine Intervention zugunsten der Unternehmen feiere "und mit keinem Wort auf die Journalisten hinter Gittern" eingehe, kritisierte Überall. Unter ihnen befänden sich mit Yücel und der Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu auch Kollegen mit deutscher Herkunft. "Herr Gabriel sollte den Druck, der offenbar den Terrorvorwurf gegen die Wirtschaft aus der Welt geschafft hat, in mindestens der gleichen Stärke zugunsten unserer Kollegen entfalten", forderte der DJV-Vorsitzende.
Seit dem versuchten Militärputsch vom 15. Juli 2016 hat sich die Situation für Pressevertreter in der Türkei massiv verschärft: Fast 150 Medien wurden geschlossen und mehr als hundert Journalisten inhaftiert. Yücel wurde Mitte Februar festgenommen und sitzt seitdem wegen angeblicher Terrorpropaganda und Volksverhetzung in Untersuchungshaft.
Tolu wurde Ende April festgenommen. Der Mutter eines kleinen Kindes wird laut Medienberichten ebenfalls Terrorpropaganda und "Mitgliedschaft in einer Terrororganisation" vorgeworfen. Gemeint ist die verbotene linksextreme MLKP. Tolu drohen 15 Jahre Haft. Der Prozess soll im Oktober beginnen. (V.Korablyov--DTZ)