Flüchtlingsretter stoppen fragwürdige Hilfseinsätze im Mittelmeer
Angesichts des von Italien und Libyen ausgeübten Drucks in der Flüchtlingsfrage setzen zwei Hilfsorganisationen ihre Seenotrettung im Mittelmeer aus. Die Regensburger Hilfsorganisation Sea-Eye erklärte am Sonntag, unter den derzeitigen Umständen sei der Einsatz vor der libyschen Küste nicht möglich. Auch die Organisation Ärzte ohne Grenzen stoppte ihre Rettungseinsätze im Mittelmeer teilweise. Ihr Schiff "Prudence" wird vorläufig nicht mehr auslaufen, um Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu bewahren.
Der Sea-Eye-Gründer Michael Buschheuer erklärte, die Fortsetzung der Rettungsaktionen vor Libyens Küste sei gegenüber der Besatzung nicht mehr zu verantworten. Die libysche Marine hatte am Donnerstag erklärt, ausländische Schiffe dürften die Küste des Landes ohne eine besondere Erlaubnis der libyschen Behörden nicht mehr ansteuern.
Die Entscheidung zur Aussetzung der Rettungsmission sei "schweren Herzens" getroffen worden, erklärte Sea-Eye. Jedoch habe die libysche Regierung eine "unbestimmte und einseitige Ausdehnung ihrer Hoheitsgewässer angekündigt" und dies mit einer "expliziten Drohung" an private Hilfsorganisationen verknüpft. Nun müsse die Organisation "die veränderte Sicherheitslage sorgfältig analysieren" und über das weitere Vorgehen beraten.
"Wir hinterlassen eine tödliche Lücke im Mittelmeer", erklärte Buschheuer. Er appellierte an die italienische Regierung und den EU-Marineeinsatz "Sophia", "jetzt endlich alles zu unternehmen, um das sinnlose Sterben der Flüchtenden zu beenden". Er wies darauf hin, dass in Libyen hunderttausende Menschen "der Willkür von Banditen, Schleppern und regierungsnahen Milizen ausgesetzt" seien. Mit der Entscheidung in Tripolis werde den Flüchtlingen "die letzte Chance genommen, dieser Zwangslage zu entkommen".
Sea-Eye rettete nach eigenen Angaben seit Beginn ihrer Missionen im April 2016 rund 12.000 Menschen vor dem Ertrinken. Mehrere hundert ehrenamtliche Helfer waren auf den beiden Schiffen "Sea-Eye" und "Seefuchs" im Einsatz.
Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hatte bereits am Samstag erklärt, sie setze ihr Schiff "Prudence" vorläufig nicht mehr zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer ein. Die "Prudence" ist das größte Schiff von Ärzte ohne Grenzen und eines der größten von Hilfsorganisationen im Mittelmeer überhaupt. Die Besatzung hatte alleine im Mai 1500 Flüchtlinge aufgenommen.
Der italienische Außenminister Angelino Alfano begrüßte in der Zeitung "La Stampa" (Sonntagsausgabe), die Einrichtung der Sonderzone durch Tripolis vor der libyschen Küste. Die Entscheidung von Ärzte ohne Grenzen trägt nach seinen Worten dazu bei, das Gleichgewicht im Mittelmeer "wieder auszubalancieren". Die Gewässer vor der libysche Küste gehörten Libyen und nicht jedermann.
Neben Libyen hatte auch Italien zuletzt den Druck auf die Helfer deutlich erhöht. Ärzte ohne Grenzen und andere Hilfsorganisationen lehnen einen neuen Kodex ab, mit dem Italien die Zahl der ankommenden Flüchtlinge verringern will. Die Regeln sehen vor, dass bewaffnete Polizisten an Bord von Rettungsschiffen mitgenommen werden. Außerdem dürfen demnach auf See in Sicherheit gebrachte Flüchtlinge nicht von einem Schiff auf ein anderes weitergegeben werden.
Der EU-Kommissar für Migration, Dimitris Avramopoulos, äußerte sich unterdessen skeptisch zu Auffanglagern für die Registrierung von Flüchtlingen in Nordafrika und deren Überprüfung für eine mögliche Aufnahme in die EU. Im Gespräch mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe verwies er zudem darauf, dass "dank unserer Zusammenarbeit mit der Türkei" die Zahl der in Griechenland ankommenden Flüchtlinge und Migranten um 98 Prozent zurückgegangen sei. (P.Tomczyk--DTZ)