Krise: Berlin wirft Vietnam Entführung eines Asylbewerbers vor
Die mutmaßliche Entführung eines Vietnamesen im Herzen Berlins durch die Geheimdienste seines Landes hat eine schwere diplomatische Krise ausgelöst. Die Verschleppung des Mannes nach Vietnam sei ein "präzedenzloser und eklatanter Verstoß gegen deutsches Recht und gegen das Völkerrecht", sagte Außenamtssprecher Martin Schäfer am Mittwoch. Dem Betroffenen wird in seiner Heimat offenbar Korruption vorgeworfen, er hatte in Deutschland Asyl beantragt.
Schäfer beschuldigte die vietnamesische Regierung mit harschen Worten, für das Verschwinden des Mannes aus Berlin verantwortlich zu sein. Es gebe "keine ernsthaften Zweifel" an einer Beteiligung der vietnamesischen Nachrichtendienste und der Botschaft des Landes in Berlin. "Ein derartiger Vorgang hat das Potenzial, die Beziehungen zwischen Deutschland und der Volksrepublik Vietnam massiv negativ zu beeinflussen."
Wie die "tageszeitung" unter Berufung auf unabhängige vietnamesische Medien berichtete, wurde der 51-Jährige bereits am 23. Juli in dem nahe des Regierungsviertels gelegenen Berliner Tiergarten von Bewaffneten entführt. Der Entführte sei ein früherer Funktionär der kommunistischen Partei Vietnams. Er war dem "taz"-Bericht zufolge Vorstandsvorsitzender eines staatlichen Unternehmens für Erdölfördertechnik und Vizechef einer Provinz im Mekongdelta im Süden des Landes.
Nachdem er 2016 wegen Korruptionsvorwürfen in Ungnade gefallen sei, habe er sich einer Verhaftung durch Flucht ins Ausland entzogen. Außenamtssprecher Schäfer bestätigte, dass Hanoi dem Mann vorwerfe, als langjähriger Chef eines staatlichen Unternehmens an dem Verschwinden von "hohen dreistelligen Millionen Dollarbeträgen" beteiligt gewesen zu sein.
Der Mann befindet sich demnach seit Montag wieder in Vietnam. Er sei am gestrigen Dienstag "vor der vietnamesischen Öffentlichkeit in Haft genommen worden". Dabei habe er angegeben, sich "freiwillig" gestellt zu haben.
Doch an diese Version glaubt die Bundesregierung nicht, wie Schäfer unmissverständlich deutlich machte. Das Geschehene sei mit Begriffen wie "Menschenraub" und "Entführung" zu bezeichnen. Es sei schlicht inakzeptabel, dass "ausländische Staaten auf diese Art und Weise das deutsche Recht mit Füßen treten". Die Berliner Polizei ermittelt wegen "des Verdachtes einer Entführung und erpresserischen Menschenraubs", wie ein Sprecher der "taz" sagte.
Als Reaktion bestellte das Auswärtige Amt den vietnamesischen Botschafter in Berlin bereits am Dienstag zu einem Krisengespräch ein. Dem Botschafter sei "unmissverständlich" zu verstehen gegeben worden, dass die Bundesregierung verlange, dass der Mann "unverzüglich" nach Deutschland zurückreisen könne, sagte Schäfer. Sowohl der Antrag des Entführten auf Asyl in Deutschland als auch der Antrag der vietnamesischen Regierung auf dessen Auslieferung müssten in einem rechtsstaatlichen Verfahren geprüft werden.
Als Konsequenz aus dem Vorfall werde die Bundesregierung den offiziellen Vertreter der vietnamesischen Nachrichtendienste an der Botschaft in Berlin umgehend zu einer persona non grata erklären, kündigte Schäfer an. Dem Mann würden 48 Stunden zur Ausreise gegeben. "Wir behalten uns vor, gegebenenfalls weitere Konsequenzen auf politischer, wirtschaftlicher sowie entwicklungspolitischer Ebene zu ziehen."
Der Außenamtssprecher warf der kommunistischen Regierung des südostasiatischen Staates einen "extremen Vertrauensbruch" vor. Am Rande des G20-Gipfels Anfang Juli in Hamburg sei noch darüber gesprochen worden, ob es eine Auslieferung nach Vietnam "nach den Regeln der Rechtsstaatlichkeit" geben könne. (U.Beriyev--DTZ)