Hamburg: Bund und Länder werfen sich nach Anschlag Versäumnisse vor
Nach der tödlichen Messerattacke eines Islamisten in einem Hamburger Supermarkt haben sich Bund und Länder gegenseitig Versäumnisse vorgeworfen. Der Unions-Innenexperte Stephan Mayer (CSU) hielt den Hamburger Behörden vor, sie hätten ein Bewertungssystem zur Einstufung islamistischer Gefährder auf den Attentäter nicht angewandt. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) machte den Bund für fehlende Passpapiere zur Abschiebung Ausreisepflichtiger verantwortlich.
Der 26-jährige Angreifer, der am Freitag (29.07.2017) einen Menschen erstochen und mehrere verletzt hatte, war von den Behörden zwar als radikalisiert eingestuft worden, nicht aber als Gefährder. Zugleich scheiterte die Rückführung des abgelehnten Asylbewerbers daran, dass er noch keine gültigen Personalpapiere hatte.
Mayer sagte in einem Interview vom gestrigen Montag, das Bundeskriminalamt (BKA) habe nach dem Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz vom Dezember 2016 ein neues Bewertungssystem für die Einstufung von Gefährdern entwickelt. "Der Attentäter von Hamburg ist offenbar nicht dieser neuen Bewertung unterzogen worden."
Mayer verwies auf das erst am Samstag in Kraft getretene Gesetz zur Durchsetzung der Ausreisepflicht, dass es den Ländern ermöglicht, Gefährder auch längere Zeit in Haft zu nehmen, wenn sie nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden können. Wäre "die neue Regelung früher gekommen wäre, hätte man den Attentäter von Hamburg bis zu seiner Rückführung inhaftieren können", sagte Mayer. Nun müssten die Länder die Regelung auch konsequent anwenden.
Demgegenüber sagte Pistorius im Deutschlandfunk, die Abschiebung scheitere häufig an Dingen, "die die Länder nicht in der Hand haben". Auch im Hamburger Fall hätten die nötigen Papiere gefehlt. Es sei aber die Verantwortung des Bundes, mit den Herkunftsländern Abkommen zur Rücknahme abzuschließen. Zu dem Bewertungssystem für Islamisten mit dem Titel "Radar Ite" sagte er: "Es hat eine Weile gedauert, bis BKA und andere das auch zu Papier gebracht haben, aber das ist jetzt einsatzbereit und wird angewandt."
Zum Hamburger Fall sagte Pistorius: "Es scheint so zu sein, dass es keine Anhaltspunkte dafür gab, dass er wirklich gefährlich ist." In einer solchen Situation "nützen auch die schärfsten Gesetze zur Inhaftierung und Gewahrsamnahme von Gefährdern nicht".
Der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka sagte der "Passauer Neuen Presse", es stelle sich die Frage, warum die Gefahr des Attentäters falsch eingeschätzt worden sei. "Warum wurden verschiedene Maßnahmen unterlassen, wie die Vorführung bei einem sozialpsychiatrischen Dienst?"
Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach beklagte in der "Welt", dass bei der Einreise von Flüchtlingen auf die "Erfüllung der Passpflicht" verzichtet werde "und Tag für Tag viele Hundert Drittstaatsangehörige mit ungeklärter Identität und Nationalität einreisen können".
Die Linken-Innenexpertin Ulla Jelpke vertrat allerdings die Auffassung, ein möglicher Asylantrag dürfe nicht an Personalpapiere geknüpft sein. "Die Vorstellung, Flüchtlinge nur dann einen Asylantrag stellen zu lassen, wenn ihnen der Verfolgerstaat zuvor einen Reisepass ausgestellt hat, ist schlicht rechtswidrig und geht an jeder Realität vorbei", erklärte sie. (S.A.Dudajev--DTZ)