Stimmung in Venezuela zwei Tage vor der Wahl aufgeheizt
In Venezuela droht die Lage wenige Tage vor der Wahl der verfassunggebenden Versammlung weiter zu eskalieren: Obwohl die Regierung ein Demonstrationsverbot ab dem heutigen Freitag ausgesprochen hat, rief die Opposition zu landesweiten Protestmärschen zur "Übernahme Venezuelas" auf. Bereits bei den Auseinandersetzungen während eines zweitägigen Generalstreiks bis am heutigen Freitag (28.07.2017) waren sieben Menschen getötet worden - damit erhöhte sich die Zahl der Todesopfer seit Beginn der Proteste Anfang April auf 112.
Die rechtsgerichtete Opposition kämpft seit Monaten für eine Amtsenthebung des linksnationalistischen Präsidenten Nicolás Maduro. Sie macht ihn für die Wirtschaftskrise im ölreichen Venezuela verantwortlich, die sich durch den Fall des Preises für Erdöl auf dem Weltmarkt verschärft hat.
Am Sonntag (30.07.2017) will Maduro die 545 Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung wählen lassen. Der Staatschef will mit einer neuen Verfassung nach eigenen Angaben dazu beitragen, die schwere Krise in dem Land beizulegen. Seine Gegner werfen ihm vor, er wolle die verfassunggebende Versammlung mit eigenen Anhängern besetzen, um sich "diktatorische Vollmachten" zu sichern. Sie sehen dahinter ein Manöver, um die für Ende 2018 vorgesehene Präsidentschaftswahl hinauszuschieben. Internationale Wahlbeobachter sind für die Wahl am Sonntag nicht vorgesehen.
Am Donnerstag drohte die Regierung mit Haftstrafen von fünf bis zehn Jahren für alle, die die Wahl durch Demonstrationen oder Proteste stören wollten. Der Oppositionsvertreter Jorge Millán sagte hingegen, die Demonstranten sollten sich darauf vorbereiten, sämtliche Straßen des Landes "zu übernehmen, bis dieser Verfassungsbetrug aufgehalten ist".
In dem südamerikanischen Land hatte die Opposition am Mittwoch und Donnerstag zu einem zweitägigen Generalstreik aufgerufen. Demonstranten und Sicherheitskräfte lieferten sich schwere Straßenschlachten. Regierungsgegner errichteten Barrikaden und forderten auf Spruchbändern ein "Ende der Diktatur". Unter den sieben Toten waren zwei 16-Jährige, einer von ihnen wurde durch einen Kopfschuss getötet.
Nach den ersten 24 Stunden gab das Oppositionsbündnis Tisch der demokratischen Einheit (MUD) an, der Ausstand sei landesweit zu 92 Prozent befolgt worden. Die wichtigsten Gewerkschaften unterstützten den zweitägigen Streik, mit dem die Opposition ihren Druck auf Maduro erhöhen will.
Aus Angst vor Gewalt hatten sich viele Venezolaner am Vortag des Streiks mit Lebensmitteln eingedeckt oder sogar das Land verlassen. Viele überquerten die Grenze nach Kolumbien. Ohnehin reisen täglich tausende Venezolaner in das Nachbarland, um einzukaufen oder Waren zu schmuggeln.
Die Lage in Venezuela wird auch international als gefährlich wahrgenommen: Am Donnerstag ordneten die USA die Ausreise der Angehörigen ihres Botschaftspersonals aus dem Land an. Botschaftsangestellten in Caracas gestattete das US-Außenministerium außerdem die freiwillige Ausreise. Washington warnte seine Bürger zudem vor Reisen in das Land aufgrund von "sozialen Unruhen, Gewaltverbrechen und allgegenwärtiger Nahrungsmittel- und Medikamentenknappheit".
Die USA hatten am Mittwoch außerdem Sanktionen gegen insgesamt 13 amtierende und ehemalige ranghohe venezolanische Regierungsvertreter angekündigt. Danach werden deren mögliches Eigentum und Bankkonten in den USA eingefroren, zudem können sie keine Geschäfte mit US-Bürgern mehr machen. Maduro bezeichnete die Strafmaßnahmen als "unverschämt".
Bislang kann sich Maduro auf die bedingungslose Unterstützung der Armee verlassen. In seinem eigenen Lager haben sich jedoch schon einige von ihm abgewandt. Am prominentesten ist Generalstaatsanwältin Luisa Ortega. Im März hatte sie die zeitweilige Entmachtung des von der Opposition dominierten Parlaments durch das Oberste Gericht als Verfassungsbruch kritisiert. Außerdem warf sie der Regierung vor, mithilfe des Obersten Gerichtshofs und der Armee "Staatsterrorismus" zu betreiben. (V.Sørensen--DTZ)