Frankreichs Regierung: Keine Dioxin-Gefahr nach Chemieunglück
Eine Woche nach dem Chemieunglück in der nordfranzösischen Stadt Rouen hat die Pariser Regierung die Bevölkerung zur Ruhe aufgerufen. Die gemessenen Dioxin-Werte seien nicht überhöht, sagte eine Regierungssprecherin am Donnerstag. Wie die Präfektur nach massivem öffentlichem Druck bekanntgegeben hatte, gingen bei dem Großbrand in der Fabrik der Firma Lubrizol mehr als 5200 Tonnen Chemikalien in Flammen auf. Bürger und Umweltschützer sind besorgt und werfen den Behörden vor, das Ausmaß des Unglücks zu verschweigen.
Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye betonte, die Luftqualität sei gut und das Leitungswasser trinkbar. Übermäßige Dioxinwerte hätten die Behörden bisher nicht festgestellt. Die Untersuchungen sollen nach ihren Worten bis Ende der Woche fortgesetzt werden. Das französische Parlament will zudem einen Untersuchungsausschuss einsetzen.
Viele Menschen sind dennoch misstrauisch. Unter den Schlagworten "Wir wollen die Wahrheit wissen" und "Unsere Kinder sind in Gefahr" hatten am Mittwochabend mehr als 2000 Bürger in Rouen demonstriert.
Die Präfektur hatte zuvor eine Liste der 5200 Tonnen Chemikalien veröffentlicht, die vor einer Woche in der Fabrik des US-Milliardärs Warren Buffett verbrannt waren. "Die Produkte sind alle nicht gefährlich", erklärte die Verwaltungsbehörde.
Präfekt Pierre-Yves Durand räumte aber ein, dass 160 Fässer mit Chemikalien noch nicht vom Lubrizol-Gelände entfernt werden konnten. Sie seien in einem "prekären Zustand". Durand schloss Gesundheitsrisiken durch Stoffe wie Asbest grundsätzlich aus.
"Herr Präfekt, Sie lügen", reagierte der Umweltschutzverein Andeva, der sich für die Opfer von Asbesterkrankungen einsetzt. In der schwarzen Rauchwolke, die nach dem Brand am Donnerstag über die 110.000-Einwohner-Stadt Rouen und ihr Umland zog, seien viele Asbestfasern gewesen.
Viele Menschen in Frankreich erinnert das Vorgehen der Behörden an den Super-GAU im sowjetischen Atomkraftwerk Tschernobyl 1986. Damals hieß es offiziell, die radioaktive Wolke habe an der französischen Grenze Halt gemacht.
Auch die französischen Anti-Terror-Gesetze verhindern Medien zufolge die Aufklärung: Danach können Chemiefirmen ihre Stoffe geheim halten, wenn Anschläge befürchtet werden.
Für Misstrauen in Rouen und Umland sorgen faulige Gerüche und der schwarze Ruß, der sich über Häuser, Gärten und Felder gelegt hat. Viele Menschen klagen über Übelkeit und Kopfschmerzen.
In Online-Netzwerken veröffentlichten besorgte Bürger Bilder von schwarzem Wasser, das aus ihren Leitungen kam, oder von rußgeschwärzten Terrassen. In mehreren Schulen blieben Lehrer dem Unterricht wegen der Geruchsbelästigung fern. Seit dem Brand sind mehr als 40 Anzeigen bei der Polizei eingegangen.
Vom Verzehr von Obst und Gemüse, das mit Ruß verschmutzt ist, raten die Behörden seit dem Brand ab. Zudem dürfen Landwirte der Region ihre Eier, Milch und andere Produkte bis auf Weiteres nicht mehr verkaufen.
Der Gesundheitsexperte Yves Lévi von der Universität Paris-Süd sagte der Zeitung "Le Figaro", toxische Stoffe seien in der Regel geruchlos und deshalb nur schwer zu erkennen. Die Übelkeit erregenden Gerüche gingen von sogenannten Mercaptanen aus, die dazu dienen, geruchloses Gas zu "markieren" und auf Lecks aufmerksam zu machen.
Der Betreiber des Chemiewerks Lubrizol teilte mit, der Brandherd habe offenbar außerhalb der Fabrik gelegen. Dies legten Aufnahmen aus Überwachungskameras nahe. In dem Werk wurden Zusatzstoffe für Schmierstoffe hergestellt. Es unterliegt der sogenannten Seveso-Richtlinie der EU, die besonders strenge Sicherheitsauflagen vorschreibt.
(O.Tatarinov--DTZ)