US-Opernlegende Jessye Norman mit 74 Jahren gestorben
Mit vier Jahren sang Jessye Norman Gospellieder, später trat sie bei zwei Amtsantritten von US-Präsidenten, der 200-Jahr-Feier der französischen Revolution und dem 60. Geburtstag der Queen auf. Nun ist die US-Opernlegende im Alter von 74 Jahren gestorben. Opernhäuser wie die Deutsche Oper in Berlin und Fans weltweit trauerten um den Verlust der Ausnahmesopranistin.
Wie ihre Familie am Montag mitteilte, starb Norman in einem New Yorker Krankenhaus an einem septischen Schock und multiplem Organversagen nach Komplikationen nach einer Rückenmarksverletzung, die sie sich 2015 zugezogen hatte. "Wir sind so stolz auf Jessyes musikalische Leistungen und die Inspiration, die sie Zuhörern weltweit gegeben hat", erklärte die Familie. Die Sopranistin starb demnach im Kreise ihrer Angehörigen.
Jessye Norman wurde am 15. September 1945 in Augusta im US-Südstaat Georgia geboren. Sie wuchs mit vier Geschwistern in einer musikbegeisterten Familie auf, die sich aktiv an den Protestmärschen gegen Rassismus beteiligte. Schon als Vierjährige begann Norman, Gospel zu singen. Früh interessierte sie sich dann für Opernmusik. Sie studierte an der für Schwarze gegründeten Howard Universität in Washington, später am Peabody-Konservatorium und an der Universität von Michigan.
"Ich kann mich an keinen Zeitpunkt in meinem Leben erinnern, an dem ich nicht zu singen versuchte", sagte sie vor fünf Jahren dem öffentlich-rechtlichen US-Sender NPR. Mit Blick auf die Rassentrennung während ihrer Kindheit sagte sie, alle Menschen kämen mit einem "offenen Herzen" zur Welt. Später aber müsse man lernen, sich zu verschließen. "Das ist eine große Schande".
Als Schwarze in der von Weißen dominierten Klassikwelt sorgte Norman rasch für Aufsehen. Ende der 1960er Jahre siedelte sie nach Europa über. 1968 erhielt sie ihren ersten Vertrag bei der Deutschen Oper; da war sie gerade 23 Jahre alt. Es folgten Auftritte in der Mailänder Scala, im Londoner Covent Garden und bei den Salzburger Festspielen - und schließlich, 1983, bei der Metropolitan Opera in New York. Zuletzt lebte sie in London sowie in der Nähe von New York.
Kritiker schwärmten von Normans kraftvollen und ausdrucksstarken Stimme als ein "samtenes Wunder" und bezeichneten sie selbst als "Megadonna des Gesangs" oder "Gesamtkunstwerk". Sie sang bei den Amtseinführungen von Ronald Reagan und Bill Clinton, bei der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele 1996 in Atlanta, dem 60. Geburtstag der Queen und bei den Feierlichkeiten zum 200-jährigen Jubiläum der Französischen Revolution 1989.
Gleichzeitig blieb sie ihrem politischen Anliegen verbunden: Auf ihr Betreiben - und zum Großteil von ihr finanziert - geht die Jessye Norman School of the Arts zurück, die benachteiligten Kindern in Georgia eine kostenlose Ausbildung gibt.
In den vergangenen Jahren trat Norman nur noch selten auf. Ihre Deutschlandtournee im Jahr 2004 fassten ihre Fans als Abschiedstournee auf. Über ihr Privatleben ist so gut wie nichts bekannt: In ihrer Biografie "I Sing the Music of My Heart: Erinnerungen" ließ sie lediglich einmal durchblicken, dass ein französischer Adeliger einmal um ihre Hand anhielt.
Der Intendant der Deutschen Oper, Dietmar Schwarz, erklärte am Dienstag, sein Haus trauere mit "der gesamten Musikwelt". Die Deutsche Oper sei aber gleichzeitig stolz darauf, "dass diese Jahrhundertsängerin ihre Karriere" in Berlin begonnen habe. Die New Yorker Met widmete Gershwins Oper "Porgy and Bess" am Montagabend der verstorbenen Sopranistin.
(W.Budayev--DTZ)