Frau in El Salvador nach mutmaßlicher Totgeburt von Tötungsvorwurf freigesprochen
In einem aufsehenerregenden Prozess ist in El Salvador eine junge Frau nach einer mutmaßlichen Totgeburt vom Vorwurf der vorsätzlichen Tötung freigesprochen worden. Ein Richter in Ciudad Delgado urteilte am Montag, es gebe keine ausreichenden Beweise gegen die 21-jährige Evelyn Hernández, die bereits knapp drei Jahre in Haft saß. Die Staatsanwaltschaft hatte 40 Jahre Gefängnis gefordert. In dem zentralamerikanischen Land herrscht ein drakonisches Abtreibungsrecht.
Hernández zeigte sich erleichtert nach ihrem Freispruch: "Ich bin glücklich", sagte die 21-Jährige, als sie das Gerichtsgebäude verließ. "Gott sei Dank wurde heute Gerechtigkeit gesprochen." Die fast drei Jahre, die sie bereits im Gefängnis saß, seien eine "harte Zeit" gewesen. Für die Zukunft plane sie nun, ihr Studium fortzusetzen und "meine Ziele weiter voranzutreiben".
Vor dem Gerichtsgebäude brachen nach dem Freispruch etwa hundert Frauen in Jubel aus. "Achtung, Achtung, der feministische Kampf kommt in Lateinamerika voran", skandierten sie.
Die Staatsanwaltschaft teilte nicht mit, ob sie in Berufung gehen will. Für diese Entscheidung hat sie zehn Tage Zeit.
Hernández hatte im April 2016 im achten Schwangerschaftsmonat in einer Toilette ein Kind zur Welt gebracht. Die junge Frau beteuert, das Baby sei bei der Geburt bereits tot gewesen. Trotzdem wurde sie festgenommen. Im Juli 2017 wurde sie wegen Mordes zu 30 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil wurde aber später aufgehoben, der Fall deswegen neu verhandelt.
Hernández’ Verteidigung hatte geltend gemacht, dass beim ersten Urteil entscheidende forensische Beweise nicht berücksichtigt worden seien. Demnach war das Baby bereits im Mutterleib erstickt. Zunächst war auch dargelegt worden, dass die damals 18-jährige Hernández nach einer Vergewaltigung schwanger geworden sei. Später wurde die mutmaßliche Vergewaltigung auf Bitten der Angeklagten aber nicht mehr thematisiert, weil Hernández in einem von Banden kontrollierten Gebiet lebt und Repressionen der Gangs fürchtete.
Verteidigerin Bertha María Deleon sagte vor Journalisten, der Richer habe anerkannt, dass Hernández eine schwierige Entbindung gehabt habe und es keinen Beweis für ein Vergehen gebe. Im Onlinedienst Twitter erklärte die Anwältin, der Freispruch für ihre Mandantin erfülle sie mit großer Freude. Der Kampf gehe aber weiter, weil es immer noch Frauen gebe, die wegen ähnlicher Fälle juristisch verfolgt würden.
In El Salvador sieht das Strafrecht bei Abtreibungen zwischen zwei und acht Jahren Haft vor. Staatsanwälte und Richter stufen Fälle, in denen Kinder tot zur Welt kommen oder kurz nach der Geburt sterben, aber häufig als vorsätzliche Tötung ein, die mit bis zu 50 Jahren Haft bestraft werden kann. Menschenrechtsaktivisten verurteilen dies scharf.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte den Freispruch für Hernández. El Salvador müsse nun der "diskriminierenden Praxis der Kriminalisierung von Frauen" ein Ende setzen. Keine Frau dürfe wegen Mordes angeklagt werden, weil sie einen medizinischen Notfall erlitten habe. Auch müssten die "drakonischen Regeln gegen Abtreibungen" abgeschafft werden, forderte die Amerika-Chefin von Amnesty, Erika Guevara-Rosas.
Derzeit sitzen in El Salvador 16 Frauen wegen Abtreibungen oder Totgeburten im Gefängnis. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hatte El Salvador im Januar in einem Bericht aufgefordert, all diese Verurteilungen sorgfältig zu überprüfen. In den folgenden Monaten wurden fünf Frauen, die wegen derartiger Fälle im Gefängnis saßen, freigelassen. El Salvadors Staatschef Nayib Bukele, der sein Amt im Juni antrat, hat eine Verbesserung der Menschenrechtslage in seinem Land versprochen.
(A.Nikiforov--DTZ)