Das Ende einer strafbaren Beziehung
Die Urteilsverkündung ist wohl für lange Zeit das letzte Mal, dass sich Maria H. und der angeklagte Bernhard H. treffen. Nach ihrer sechsjährigen Flucht durch Europa und ihr Leben in Armut auf Sizilien, die erst mit Marias heimlicher Rückkehr 2018 endete, sitzen sich die inzwischen 18-Jährige und der 58-jährige Angeklagte im Gerichtssaal 4 des Freiburger Landgerichts noch einmal gegenüber. Für sechs Jahre soll H. in Haft - wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen und später auch Schutzbefohlenen in 98 Fällen und wegen schwerer Kindesentziehung.
Das Gericht bleibt damit unter der Forderung der Anklage, die sieben Jahre und drei Monate Haft für den Mann forderte. Vor allem aber verhängt die Kammer keine Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten. Es bestehe kaum eine Wiederholungsgefahr, weil H. aus Sicht der Sachverständigen keine nachweisliche pädophile Persönlichkeitsstörung aufweise, nicht vorbestraft sei und weil er sich Maria in all den Jahren, die sie unterwegs waren, nach ihren Aussagen nie gegen ihren Willen genähert habe.
Es gebe bei H. keinen "Hang zu erheblichen Straftaten", erklärt das Gericht. Am Ende des Prozesses spricht es in seiner Urteilsbegründung von einer "ungewöhnlichen Konstellation" und "gegenseitiger Fixierung aufeinander", wobei sich aber der Erwachsene immer bewusst gewesen sei, dass es für ihn eine "strafbare Beziehung" sei.
H. soll die damals Zwölfjährige im Jahr 2012 in einem Internetchat kennen gelernt und ihr rasch auch sexuelle Angebote gemacht haben. Dabei habe er sich gegenüber dem Kind devot und manipulativ verhalten und versucht, sie von ihrer Familie zu trennen. Als seine Frau dahinter kam und die Polizei informierte, unterbrach der Angeklagte den Kontakt zu dem Mädchen.
Erst als sie ihn wieder kontaktierte, sei aus dem Chat eine sexuelle Beziehung geworden, erklärt das Gericht. Der 40 Jahre ältere Mann tauschte mit dem Mädchen bald pornografische Bilder und Nachrichten aus. Nach mehreren Treffen in Freiburger Hotels, bei denen es zu ersten sexuellen Übergriffen kam, entschieden sich die beiden bei einem Treffen im Herbst offenbar spontan zum Untertauchen.
Sie hatten offenbar Angst, dass ihre verbotene Beziehung auffliegen könnte, und flohen über Polen, Slowenien und Ungarn mit dem Fahrrad bis nach Sizilien, wo sie bis zur Flucht von Maria im Jahr 2018 von Betteln und Gelegenheitsarbeiten lebten. In dieser Zeit sei die Halbwüchsige vollkommen von H. abhängig gewesen, befand das Gericht.
Der Mann hielt Maria vom Internet fern, drohte ihr, bei einer Rückkehr müsse sie in ein Kinderheim. Bis Maria 15 Jahre war, kam es zu weiteren sexuellen Handlungen - mit der Gefahr einer Schwangerschaft. Danach kühlte die Beziehung ab.
All das sei in hohem Maß verantwortungslos und zeuge von der Egozentrik des Angeklagten. Doch habe es zweifellos eine emotionale Bindung zwischen Täter und Opfer gegeben. Für H. spreche, dass Maria heute einen psychisch stabilen Eindruck mache.
Maria verfolgt das Urteil von der Bank der Nebenkläger. Sie schaut ernst, aber nicht ohne Mitleid auf den Angeklagten. Die Mutter verfolgt die Urteilsverkündung direkt daneben ungerührt. Die Frau litt jahrelang unter der Ungewissheit über den Verbleib der Tochter. Dafür spricht das Gericht ihr einen Schadensersatzanspruch gegenüber H. zu.
Dieser gestand im Verfahren alles, bereute aber nichts. Auch vor Gericht sprach er noch von seiner Liebe zu Maria. Bei der Verkündung ist ihm nicht anzumerken, wie er das Urteil aufnimmt. H. lässt sich mit Hand- und Fußfesseln abführen.
(A.Stefanowych--DTZ)