Blick auf tausend Jahre Kirchengeschichte in Mainzer Sarkophag
Als sich der 700 Kilogramm schwere Deckel des Sarkophags hebt, ist es in der Mainzer Kirche St. Johannis am Dienstag still. Ein halbes Jahr arbeitete der Schweizer Archäologe Guido Faccani mit seinem Team auf die Öffnung des tausend Jahre alten Sarkophags hin. "Wir waren alle ziemlich nervös", gestand er nun und sprach von einem "einzigartigen Moment".
Obwohl zunächst nicht geklärt werden konnte, ob sich in dem Sarkophag tatsächlich der Leichnam von Erzbischof Erkanbald befindet, zeigte sich Faccani bei der Vorstellung der ersten Forschungsergebnisse zufrieden. "Ich bin erwartungsneutral - als Archäologe darf man nie die Freude am kleinsten Stein verlieren, der bei einer Grabung entdeckt wird", sagte er.
Fest stand nach der Öffnung schnell, dass die Leiche vor ihrer Bestattung mit Ätzkalk behandelt wurde. Dies sei vermutlich geschehen, "um den Verwesungsprozess zu beschleunigen". Es könne verschiedene Gründe gegeben haben, warum die Leiche schneller habe verwesen sollen. Einer davon könne gewesen sein, dass die Ausbreitung von Gerüchen in der Kirche habe verhindert werden sollen. "Nicht einmal Zähne waren zu finden", sagte Faccani.
Spezialisten, die die Gebeine röntgen sollten, mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen. Die Knochen waren zu sehr zersetzt, übrig waren großteils nur Fragmente. Das 14-köpfige Forscherteam fand zudem Überreste von Stoff, die zusammen mit Gewebeproben in den kommenden Tagen analysiert werden sollen. Laut Faccani stand aber bereits fest, dass es sich bei dem Toten um einen kirchlichen Würdenträger handelt.
Zudem gab es Hinweise darauf, dass der Sarkophag vor der Bestattung der Leiche umgebaut wurde. "Die ältere Gestaltung des Innern wurde fast komplett abgeschlagen", sagte Faccani. Es sei denkbar, dass der Sarkophag zweimal benutzt wurde. Eventuell sei die Wanne des Sarkophags bearbeitet worden, um sie an die Größe des Toten anzupassen. Dennoch gebe es keine Hinweise darauf, dass der Sarkophag in den vergangenen tausend Jahren geöffnet wurde.
Das katholische Bistum Mainz und die evangelische Kirche hatten sich durch die Öffnung des Sarkophags neue Erkenntnisse zur Funktion des alten Doms im ersten Jahrtausend erhofft. Sie vermuteten Erzbischof Erkanbald im Innern, der von 1011 bis zu seinem Tod 1021 Mainzer Bischof war.
Die Forscher erhoffen sich weitere Funde in den kommenden Tagen. Der Sarkophag soll mit einem Metalldetektor abgesucht werden, um Reste eines Rings zu finden. "Es ist immer noch möglich, dass der Tote tatsächlich Erkanbald ist", sagte Faccani. Eine Untersuchung soll klären, wie lange die Leiche im Grab lag.
Dekan Andreas Klodt bezeichnet den Fund als Glück. "Wir durften uns alle ein bisschen wie Indiana Jones fühlen", sagte er. Volker Jung, Kirchenpräsident der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, sprach von einem Einblick "in die gemeinsame Kirchengeschichte" von Katholiken und Protestanten. "In diesem Gebäude wurde schon vor vielen Generationen vor uns gesungen, gezweifelt, gebetet und gehofft."
Im Vorfeld der Öffnung des Sarkophags hatte es Kritik gegeben, weil durch die Forschung die Totenruhe gestört werde. Diesem Vorwurf traten die Geistlichen entschieden entgegen. Eine Andacht im Vorfeld der Arbeiten am Dienstagmorgen sei bewusst in einen wissenschaftlichen Zusammenhang gesetzt worden. Die Totenruhe solle nicht allzu lange gestört werden.
Es seien lediglich Proben entnommen worden, die weiter untersucht würden, erläuterte Faccani. Alles andere bleibe an Ort und Stelle. In einigen Tagen solle der Deckel des Sarkophags wieder verschlossen werden. Geplant ist, den Toten in der Johanniskirche zu belassen. In welcher Weise, ob vergraben oder ausgestellt, sei derzeit noch offen.
(Y.Ignatiev--DTZ)